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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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Haut zu schmachten.
    Aber es ist noch zu früh. Ich will dieser einfachen Verlockung nicht zum Opfer fallen. Der Zeitpunkt stimmt nicht. Noch nicht. Ich muss mich in Geduld üben.
    Weil sie kommen wird.
    Zuverlässig und ohne die geringste Ahnung von ihrem Schicksal nähert sie sich. Ich fühle es.
    Und alles muss perfekt sein.
    »Komm«, flüstere ich leise und spüre bei dem Gedanken an sie dieses sinnliche Zucken tief im Inneren: leicht gebräunte Haut, Sprenkel von Sommersprossen, große nussbraune Augen und unbändiges Haar, tiefbraun mit einem rötlichen Schimmer im Feuerschein. »Komm einfach.«
    Das Wissen, dass sie bald auftaucht, bringt mein Blut in Wallung, mein Verstand brennt bei der Vorstellung dessen, was kommt. Ich kann sie beinahe schmecken, ihre Haut fühlen, wenn sie unter meiner Berührung erbebt. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sich ihre Pupillen weiten, bis ihre Augen beinahe schwarz sind vor Angst und düsterem, unwillkommenem Verlangen.
    Oh ja, sie wird mich begehren. Sie wird darum betteln, mehr von mir zu bekommen. Und ich werde ihr geben, wonach sie verlangt … was sie fürchtet.
    Ihr letzter bewusster Gedanke wird mir gelten.
    Mir allein.
    Aber noch nicht … ich muss mich zurückhalten. Ich unterdrücke meine lebhaften, beglückenden Fantasien und beschließe, sie später zu genießen. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
    Mit einem letzten Blick auf das Fenster gehe ich zum Tisch beim Feuer, setze mich auf den glatten Holzstuhl, spüre den Lack an meiner nackten Haut. Wenn mein Körper von der Kleidung befreit ist, ist mein Verstand schärfer. Klarer.
    Ich studiere die Karten sorgfältig. Mit Hilfe einer Lupe zeichne ich meine Route ein. Die auf dem Tisch ausgebreiteten abgegriffenen, markierten Seiten schimmern zart unter der Kerosinlampe. Auf der zerkratzten Platte verstreut liegen astrologische Karten, Geburtsurkunden und jüngere Zeitungsausschnitte über die Todesfälle, die niemand je auf mich zurückführen wird. In den Artikeln wird die wunderschöne Befreiung der Seelen als brutaler Mord, als Werk eines Psychopathen bezeichnet.
    Reporter, wie auch Polizisten, sind Idioten.
    Unwillkürlich muss ich über all ihre vergebliche Mühe lächeln. Die Obrigkeit besteht nur aus Trotteln, Schwachsinnige sind es allesamt. Dummköpfe, die so einfach mit sich spielen lassen.
    Brennendes Holz knistert im Kamin, eifrige Flammen verzehren die moosigen Kloben von Eiche und Tanne. Der Duft von Holzrauch steigt mir schwer in die Nase, während ich die Geschichten über die »Opfer« noch einmal lese, von den dämlichen Bullen sorgfältig konstruierte Geschichten, damit keine Einzelheit, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden soll, in die Artikel schlüpft. Sie haben penibel gearbeitet, um Informationen zurückzuhalten, Hinweise, die alle Verrückten im Umkreis daran hindern, meine Taten als ihre auszugeben.
    Denn sollte das geschehen, müsste das unterbesetzte Büro des Sheriffs das alles klären und wertvolle Stunden auf den Betrug verschwenden. Polizisten müssten ihn oder sie als Idioten überführen, der oder die die fünfzehn Minuten Ruhm einstreichen will. Die Behörde würde viel Zeit mit der Überführung des falschen Mörders verlieren, eines verrückten Schwindlers, der die Göttlichkeit, die Komplexität der penibel ausgeführten Opferungen überhaupt nicht begreifen kann.
    Tut mir leid, ihr Schwachköpfe.
    Ihr werdet euch einen anderen Mörder zum Nachahmen aussuchen müssen.
    »Mörder.« Das Wort schmeckt bitter. »Krimineller« und »Psychopath« ebenfalls. Denn was ich tue, ist kein Verbrechen, ist nicht einfach eine »Tötung«, keine psychotische Laune, sondern eine Notwendigkeit … eine Berufung. Doch die nicht Aufgeklärten können das nie verstehen. Was ich getan habe, was ich wieder tun werde, wird missverstanden.
    So sei es.
    Ein Fenster klappert unter einem Windstoß, und ich spüre plötzlich einen kalten Schauer auf dem Rücken. Ich hebe den Blick von meiner Arbeit zu den vereisten Scheiben und sehe draußen Schneeflocken durch den stahlgrauen Tag wirbeln. Während ich den Sturm durch die Ritzen in der Wand dringen fühle und die kalte Luft meine Haut reizt, sehe ich sie wieder vor mir.
    Schönes Miststück.
    Bald gehörst du mir.
    Gott und die Vorsehung sind auf meiner Seite. Ich lecke mir die Lippen, als Erregung in meinen Adern kribbelt. Ich wende mich wieder dem Tisch zu und sehe ihr Bild. In Schwarzweiß, die Umgebung unscharf, ihre Züge klar

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