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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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drei Tage in der Schlucht gelegen hat, wie lange lässt er sie dann noch am Leben? Was meinst du?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Alvarez. Sie hatte den Blick starr auf die Rückleuchten von Watersheds Wagen gerichtet, dem Fahrzeug vor ihr in dem kleinen Konvoi von behördeneigenen Pick-ups, Geländewagen und Limousinen. Hinter dem Konvoi fuhr der Abschleppwagen mit dem Wrack des Subaru, das von den Ermittlern von oben bis unten nach Hinweisen auf den Mörder durchsucht werden würde. Wenn der Kerl doch wenigstens mal einen Fingerabdruck, ein Haar oder irgendein anderes Beweisstück hinterlassen würde, mit dem sie arbeiten könnten.
    Bislang hatte der Mörder Glück gehabt. Keine Haare, keine Fasern, außer denen von dem Sisalseil, mit dem die Opfer an die Bäume gefesselt waren, keinerlei Fingerabdrücke auf den Zetteln oder Fahrzeugen, keine Zeugen seines Verbrechens. Sie hatten Kugeln ohne Hülsen und schlechte Abdrücke von Stiefelspuren im Schnee. Die Blutproben, die die Ermittler gesammelt hatten, stammten alle von den Opfern, und die Schnitzereien in den Bäumen, sämtlich mit einer Art Jagdmesser angefertigt, gaben keinerlei Hinweis, außer vielleicht, grob geschätzt, auf die Größe des Mörders. An den Opfern wurde kein Sperma gefunden, nichts, was auf eine Vergewaltigung hindeutete.
    Ihr Profil des Mörders war nicht sehr ergiebig.
    Nach ihrer Annahme war der Mörder ein Mann mit Schuhgröße 44 und zwischen eins achtundsiebzig und eins siebenundachtzig groß. Doch auch das war eben nur eine Annahme. Das Papier, auf dem die Botschaften geschrieben waren, war ein gängiges Computerpapier, in jedem Bürobedarf oder Kaufhaus zu haben, die Tinte gab nichts her, war gewöhnliche blaue Tinte von Wegwerfkulis.
    Und die Botschaften, die er hinterließ: Was zum Geier hatten sie zu bedeuten?
    Pescoli schaltete vor einer Haarnadelkurve herunter, Watersheds Pick-up vor ihnen schlingerte ein wenig. »Oh, warum nur!«, sagte sie leise vor sich hin, als ihr Fahrzeug ins Schleudern geriet, dann aber wieder Halt fand. »Frag mich mal, warum ich nicht in Phoenix oder San Diego lebe. Wo Temperaturen um zwanzig Grad als kalt empfunden werden.«
    »Phoenix würdest du scheußlich finden. Und nachts wird es in der Wüste auch sehr kalt.«
    »Aber nicht
so
kalt. Gut, dann eben San Diego. Ich glaube, ich ziehe dahin. Schon nächste Woche.«
    Alvarez musste unwillkürlich lächeln, als sie sich Pescoli in Stiefeln, Jeans und Daunenweste mit Rollerskates unter den Füßen in Südkalifornien auf einem Gehsteig in Strandnähe vorstellte.
    »Lach nur, ich tu’s wirklich. Wenn wir wieder im Büro sind, sehe ich mich nach offenen Stellen südlich von L.A. um.«
    »Na dann viel Glück.«
    Pescoli ließ doch tatsächlich ein Lächeln aufblitzen, das sagen sollte: Wir beide wissen, dass ich Unsinn rede.
    Die Straßen wurden freier, als sie sich der Stadt näherten, wo das höhere Fahrzeugaufkommen den Schnee in Matsch verwandelt hatte, der allerdings bald wieder überfrieren würde. Streufahrzeuge waren unterwegs, Fußgänger und Autos kämpften gegen die Elemente.
    Pescoli bog auf den Parkplatz ein. Sie stellte den Jeep so nah wie möglich am Eingang ab und schaltete den Motor aus. Alvarez stieg aus, zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch, ihre Handschuhe an und die Kapuze über den Kopf und eilte ins Gebäude.
    Sie entledigte sich der Winterkleidung und holte sich das Fax der Washingtoner Kraftfahrzeugbehörde an ihren Schreibtisch. Laut Registrierung gehörte der Wagen einer sechsunddreißig Jahre alten Frau namens Jillian Colleen Rivers. Als Wohnort war Seattle angegeben. Auch eine E-Mail war eingetroffen, mit einem Foto von Jillian Rivers in der für Führerscheine üblichen Qualität.
    »Jesus«, sagte Alvarez und betrachtete das Foto der Frau, die jetzt vielleicht schon tot war. Schulterlanges dunkelbraunes Haar, die Augenfarbe war im Führerschein mit Braun angegeben, wirkte auf dem Foto aber grau, kräftige Nase, kleiner Mund, heiteres Lächeln, hohe, ausgeprägte Wangenknochen, vielleicht ein paar Sommersprossen.
    Alvarez wählte die Nummer der Polizeibehörde in Seattle, wurde mit einem Detective im Morddezernat verbunden und schilderte die Situation.
    »Wir prüfen das«, versicherte Detective Renfro. »Geben Sie mir ein paar Stunden Zeit.«
    »In Ordnung. Und prüfen Sie auch, ob gegen die Frau Strafzettel vorliegen und ob sie ein Strafregister hat.« Doch als Alvarez auflegte, wusste sie bereits, dass Renfro die Frau

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