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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich gerade noch zurückhalten.
    Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um zuzugeben, dass sie seine Sachen durchsucht hatte. Zwar rechnete er wahrscheinlich damit, und sie brannte darauf, mehr über ihn zu erfahren, doch sie beschloss, zunächst noch den Mund zu halten.
    Sie befand sich allein in den Bergen, bewacht von einem Fremden mit einem leistungsstarken Gewehr, und draußen im Dunkeln versteckt lauerte ein perverser Mörder. Und der hieß nicht MacGregor. Hätte er ihr etwas antun wollen, wäre es längst geschehen. Sie musste ihm vertrauen.
    Sie hatte keine andere Wahl.
     
    Selena warf für diesen Tag das Handtuch. Oder vielmehr für diesen Abend. Vor einer Weile hatte sie vor Gericht ausgesagt, dann war sie ins Büro des Sheriffs zurückgekehrt und hatte weit über die Zeit hinaus gearbeitet, zu der sie gewöhnlich nach Hause ging. Jetzt herrschte in den Büros und an den Arbeitsplätzen der Detectives Ruhe; die meisten waren schon vor Stunden gegangen.
    Die Ruhe vor dem Sturm, dachte sie, schnappte sich ihre Handtasche und schob ihren Stuhl zurück. Das Licht war gedimmt, und ihre Schritte, in den Stiefeln, die sie zum Gericht getragen hatte, hallten laut durchs Treppenhaus. Das ganze Gebäude wirkte verlassen und unheimlich. Gewöhnlich arbeitete Alvarez gern allein im Büro, spät am Abend, wenn keine Telefone klingelten und kein Stimmengesumm und Gelächter, keine Wutausbrüche von Verdächtigen sie störten, aber an diesem Abend war es anders.
    Vielleicht lag es an ihrem Auftritt als Zeugin vor Gericht. Sie hatte nur für ein paar Minuten den Zeugenstand eingenommen und erklärt, wie ein fünf Jahre alter Junge bei einem Unfall mit Fahrerflucht, Alkohol am Steuer war auch mit im Spiel, ums Leben gekommen war. Doch das zermarterte, tränennasse Gesicht der Mutter und deren Schuldgefühle, weil sie ihren Sohn nur sekundenlang aus den Augen gelassen hatte, waren ihr an die Nieren gegangen. Auf der anderen Seite des Gerichtssaals saß der Angeklagte, ein Junge von knapp zwanzig Jahren, verängstigt und reuevoll wegen seiner Taten.
    So viel zerstörtes Leben.
    Selena ging nach draußen und drückte die Taste der Fernbedienung, um ihr Fahrzeug aufzuschließen, einen Dienst-Jeep ähnlich dem von Pescoli, dessen Dach und Kühler von Schnee bedeckt waren.
    Mit dem Eiskratzer aus der Innenablage der Fahrertür entfernte sie den Schnee von der Windschutzscheibe und setzte sich hinters Steuer. Ein langer Tag lag hinter ihr. Eine lange Woche. Es waren lange Monate gewesen, seit die Leiche von Theresa Kelper, der alleinstehenden Lehrerin aus Boise, gefunden worden war. Damit hatte es angefangen, damals Ende September. Kelpers Leiche war relativ schnell entdeckt worden; sie hatte kaum Verwesungsspuren und Tierfraß aufgewiesen, als sie entdeckt wurde. Und seitdem rief ihr Bruder Lyle Wilson an und verlangte Antworten.
    »Wenn wir nur welche hätten«, sagte Alvarez zu sich selbst, startete ihren Geländewagen und verließ den menschenleeren Parkplatz, auf dem nur noch wenige Fahrzeuge standen. Sie bog in eine Seitenstraße ein, die zur Hauptstraße durch die Berge ins Herz von Old Grizzly führte, dem Teil der Stadt, wo die ersten Siedler sich niedergelassen hatten. Wo das aus Backstein errichtete Gerichtsgebäude von engen Straßen mit hundert Jahre alten Büro- und Geschäftshäusern flankiert wurde. Dieser Stadtteil, etwa einhundertundfünfzig Meter unterhalb vom Büro des Sheriffs und dem Gefängnis gelegen, war am Ufer des Grizzly River an einer günstigen Stelle direkt nach den Wasserfällen erbaut worden. Ursprünglich hatten dort Bergleute und Holzfäller gelebt. Eine alte Sägemühle flussabwärts legte noch Zeugnis von der Glanzzeit der Stadt Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ab.
    Statt geradewegs zu ihrer leeren Wohnung zu fahren, parkte Alvarez in der Nähe von Wild Wills, einem ihrer Lieblingslokale, wo sie auf jeden Fall etwas Anständiges zu essen bekommen würde. Sie stieg aus dem Geländewagen und spürte etwas Kaltes im Nacken, als ob jemand sie beobachtete. Sie drehte sich um und sah einen Mann auf der anderen Seite der schmalen Straße stehen. Er trug einen dicken Parka, sein Gesicht war im Schatten verborgen, er schien ihr einen letzten kurzen Blick zuzuwerfen und schlenderte dann in Richtung Fluss davon.
    Dein Radar ist überlastet,
sagte sie zu sich, als er um die Ecke verschwand, und sie kam zu dem Schluss, dass kein Grund vorlag, um eine Verfolgung zu rechtfertigen. Ihr Magen knurrte und erinnerte

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