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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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Tür mit dem Bolzenschloss verriegelte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er und zog sich die Skimütze vom Kopf. Sein dunkles Haar stand stachelig in die Höhe, doch er schien es nicht zu bemerken.
    »Glaub schon.«
    »Dann solltest du vielleicht in eine andere Richtung zielen.« Er wies mit dem Handschuhfinger auf die Gewehrmündung, die natürlich immer noch auf die Tür gerichtet war.
    »Entschuldigung.« Sie senkte den Lauf und sah zu, wie MacGregor den Reißverschluss seiner Jacke öffnete, sie auszog und an einem Haken neben der Tür aufhängte. Er trug einen dicken, unförmigen Pullover, aber trotzdem bemerkte sie die geschmeidigen Bewegungen seiner Muskeln, als er die Hütte durchschritt. Er war erdverbunden und männlich und … tabu. Warum fiel ihr so etwas überhaupt auf? Sie hatte von Geiseln gehört, die sich zu ihren Entführern hingezogen fühlten, die sich sogar einbildeten, in den einzigen Menschen, den sie sehen durften, verliebt zu sein, doch eine solche Vorstellung hatte sie für sich immer für völlig abwegig gehalten. Aber hier, von aller Welt abgeschnitten, im Angesicht drohender Gefahr, erlebte sie selbst ungewollt eine gewisse Faszination für diesen schroffen, wortkargen Mann mit dunkler Vergangenheit.
    Sie entzog sich seinem stechenden Blick. »Was haben Sie da draußen gefunden?«
    »Ich weiß nicht.« Er zog die dichten Brauen zusammen.
    »Was soll das heißen?«
    »Ich meine, Veränderungen in der Schneedecke gesehen zu haben. Höchstwahrscheinlich Spuren.« Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und zerstrubbelte die dunklen Locken noch mehr. »Es sah aus, als hätte jemand versucht, mit einem Kiefernzweig die Spuren zu verwischen. Das klappt vielleicht in Schlamm oder Sand oder Staub. Aber nicht im Schnee. Schon gar nicht in hohem Schnee.« Er stellte sich mit dem Rücken zum Feuer, um seine Beine zu wärmen. »Und es würde nur klappen, wenn der Kerl Schneeschuhe anhätte. In Stiefeln sinkt man zu tief ein.« Vom Feuerschein umrissen, stand er da und überlegte, verzog seitlich den Mund und kratzte sich am Kinn. »Aber ich habe ihn nicht erwischt. Ich schätze, ich kam ja von der Rückseite der Hütte und habe die Spuren erst gefunden, als ich auf demselben Weg zurückging. Und weil es ziemlich heftig geschneit hat, kann ich wirklich nicht sagen, was da draußen los war, aber ein ungutes Gefühl habe ich trotzdem.«
    Panik erfasste Jillian. All die Ängste, die sie so mühsam zu verdrängen versucht hatte, waren plötzlich wieder da. »Und was machen wir jetzt?«
    »Wir können nur abwarten«, sagte er, als hätte er längst über ihre sehr beschränkten Möglichkeiten nachgedacht. »Wir verriegeln sämtliche Türen und haben die Gewehre immer griffbereit. Sobald das Wetter umschlägt und die Straßen frei sind, hauen wir ab.«
    »Das klingt wie eine Szene aus einem schlechten Fünfziger-Jahre-Film, als ob Zombies im Wald auf uns lauern würden.«
    MacGregor zeigte nicht mal den Ansatz eines Lächelns. »Was da draußen lauert, ist jedenfalls nicht tot.«
    »Sie sind beunruhigt?«
    »Vorsichtig.« Er sah sie eindringlich an, aus Augen, die sich im Zwielicht verdunkelten. »Nur … vorsichtig.«
    »Ich bin beunruhigt.« Sie sagte nicht, dass sie sich zu Tode ängstigte; das wusste er wahrscheinlich ohnehin schon längst.
    Er nickte und schaute aus dem Fenster hinaus in die sich verdichtende Dunkelheit. »Versuch doch, ein bisschen zu schlafen. Ich halte Wache.«
    »Sie halten das für nötig?«
    »Vielleicht ist es das nicht. Aber wie gesagt, ich bin vorsichtig. Und du musst möglichst wieder zu Kräften kommen. Wir kommen nur hier raus, wenn du so fit wie eben möglich bist.«
    »Ich könnte jetzt nicht schlafen.«
    Seine Lippen verzogen sich einseitig zu diesem entwaffnenden Lächeln, das sie so anziehend fand. »Versuch es wenigstens. Du kannst hier schlafen, wenn du willst, oder im Schlafzimmer.«
    »Hier wäre mir lieber«, gestand sie widerstrebend und humpelte zum Sofa, um sich in die weichen Polster sinken zu lassen.
    Er ließ sich in dem Sessel nieder und drehte die Laternen herunter.
    Der Wind heulte, ein Ast schlug gegen die Hauswand. Das Feuer knisterte leise und behaglich, aber Jillians Nerven waren wieder zum Zerreißen gespannt.
    Jillian dachte an alles, was sie am Nachmittag über MacGregor in Erfahrung gebracht, an die Bruchstücke aus seinem Leben, die sie ausgegraben hatte, und um ein Haar wäre sie auf die Fotos von dem Jungen zu sprechen gekommen, doch sie konnte

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