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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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dem Haus zu schleichen. Sie hatte den Wagen von der Zufahrt geschoben und war mit Freunden durch die Gegend gegondelt. Ihre ältere, verklemmte, brave Schwester Dusti hatte nie aufgehört, ihr unter die Nase zu reiben, wie dumm sie damals gewesen war.
    »Eine kleine Rebellin?«
    »Oder nur eine Idiotin. Such es dir aus.«
    Er grinste, und sie fand ihn immer sympathischer. Vielleicht hatten sie doch etwas gemeinsam, einen rebellischen Zug, der sich nicht ganz bändigen ließ. »Du hast mir die Krücke dagelassen«, sagte sie und fand damit zurück ins Hier und Jetzt, wo das Feuer knisterte, der Hund schnarchte und warmer Kaffeeduft das Zimmer erfüllte.
    »Damit du aufstehen konntest, wenn du aufwachtest. Ich wusste, dass du mit dem verletzten Fuß nicht auftreten konntest, und ich halte immer ein Paar Krücken bereit, falls sich jemand bei meinen Führungen verletzt. Nur prophylaktisch, bis ich sie in ein Krankenhaus bringen oder Hilfe rufen kann.«
    »Apropos, hast du mal wieder versucht anzurufen?«
    MacGregor warf ihr einen empörten Blick zu. »Was denkst denn du?«
    Das ist ja das Problem; ich weiß nicht, was ich denken soll.
    Als hätte er ihre Gedanken gelesen, ging er zu seiner Jacke und öffnete eine Tasche.
    »Hier.« Er nahm ein kleines Handy heraus, drückte die Betriebstaste und warf es ihr zu. Sie fing es mit der freien Hand auf. »Versuch es selbst. Wie gesagt, in dieser Gegend hat man bestenfalls sporadisch Empfang; außerdem ist der Akku fast leer, aber wenn du durchkommst, umso besser.«
    Jillian hielt das Handy in der Hand, als wäre es die Eintrittskarte ins Paradies, doch als das kleine Gerät den Betrieb aufnahm und ein Bild von Harley auf dem Display erschien, erkannte sie, dass es keinen Empfang hatte, so viele Tasten sie auch drückte. »Mausetot«, sagte sie und warf ihm das unnütze Ding wieder zu.
    »Deine Familie wird bestimmt verrückt vor Sorge.«
    Sie nickte bedächtig und dachte an ihre Mutter. Wenn Linnette sich eingestehen musste, dass Jillian verschwunden war, würde sie Himmel und Hölle, die Polizei von Stadt, Bundesland und Staat in Bewegung setzen. Natürlich erst, nachdem sie das FBI eingeschaltet hatte. Aber vermutlich wusste ihre Mutter gar nicht, dass Jillian verschwunden war. Aber das würde sie allerdings lieber für sich behalten. Es gab keinen Grund, MacGregor zu verraten, dass niemand sie vermisste. Sollte er nur denken, sie würde überall gesucht.
    »Sobald wir irgendwie in Kontakt treten oder hier rauskommen können, rufen wir sie an.«
    »Rufe
ich
sie an.«
    »Wie du willst.« Wieder dieses Lächeln, wenn es dieses Mal auch ein bisschen hart wirkte.
    Sie dachte an die Fotos, die sie in der Stiefelvase gefunden hatte, die Bilder von dem blonden Jungen. »Also, während du draußen warst, habe ich mich ein bisschen umgesehen.«
    Er zog auffordernd eine Braue hoch.
    »Du hast überhaupt keine Fotos in deiner Hütte aufgestellt.«
    »Mir ist es lieber so.«
    »Was ist mit deiner Familie?«
    »Ich dachte, ich hätte es dir schon gesagt. Wir haben keinen engen Kontakt.«
    »Aber es gibt da einen Jungen, der dir etwas bedeutet«, sagte sie, entschlossen, endlich einigen Fragen auf den Grund zu gehen. »Ich habe da drüben im Bücherregal ein paar Fotos von einem kleinen Jungen gefunden.« Sie deutete auf die Vase.
    MacGregor presste die Lippen zusammen, und unter seinem Bartschatten zeigten sich zwei scharfe Falten von der Nase zu den Mundwinkeln.
    »Du weißt, wovon ich spreche.«
    Er zögerte, dann nickte er knapp. Schierer Schmerz zeigte sich in seinen Zügen, in seiner Wange zuckte ein Muskel. »Er hieß David«, sagte er mit leiser Stimme. »Er war mein Sohn.«
    Sie wartete, wünschte sich, das Thema nicht angeschnitten zu haben, denn sie verstand, was die Vergangenheitsform aussagen sollte.
    »Er ist tot.«
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    »Du hast ihn nicht gekannt.«
    »Ich wollte sagen, ich verstehe deinen Schmerz. Du hast gesagt, du wärst nicht verheiratet … du hättest keine …«
    »Ich bin nicht verheiratet, und ich habe keine Kinder. Meine Frau und mein Sohn sind tot. Sie sind bei einem Frontalzusammenstoß ums Leben gekommen, einem Unfall. Niemand weiß genau, was passiert ist, aber aus irgendeinem Grund, vielleicht, weil sie abgelenkt war, geriet Callies Wagen über die Mittellinie und stieß frontal mit einem Schwerlaster zusammen.«
    »O Gott.«
    »Ich hatte sie an diesem Abend zum Tag der offenen Tür in der Schule fahren sollen, aber ich hatte

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