Der Smaragdenregen
Festklammern findet.« Er seufzte und fuhr dann fort:
»Ihr müßt nämlich wissen, daß ich zur Gruppe der Felsenkraken gehöre. Wir werden auch als Riesenkraken bezeichnet, oder nach einem Mann, der wissenschaftlich über uns gearbeitet hat, als Doflein-Kraken«, in seiner Stimme klang unüberhörbarer Stolz.
»Wir sind in Felsenhöhlen zu Hause, brauchen also immer Riffe oder Steinwälle, die uns Schutz bieten und an denen wir uns mit unseren Saugnäpfen festhalten können«, erzählte Prim weiter. »Dort jedoch, wo ich an jenem Morgen nach Nahrung suchte, gab es nichts in dieser Art, nur ein paar lausige Kiesel… Nun ja, das einzige, was ich letztlich auftreiben konnte, war eine kleine schlafmützige Haliotismuschel, auch Seeohr genannt, wenn euch das lieber ist. Ich schnappte sie mir, doch plötzlich spürte ich die Gefahr! Ich drehte mich blitzschnell um und sah geradenwegs einen Hai auf mich zuschießen.«
Die Erinnerung daran regte Prim so auf, daß er sich vorübergehend rot färbte. »Ich stieß sofort eine Farbwolke aus, um nicht entdeckt zu werden, und sauste pfeilschnell zum Ufer, wo es noch flacher war. Zwar kann man dort von der Brandung erfaßt und, eh man sich’s versieht, an Land geschleudert werden, dafür aber entwischt man dem Hai. Er hat nicht die geringste Chance, würde unweigerlich stranden.«
Prim hatte sich ein wenig beruhigt und seine ursprüngliche Farbe zurückgewonnen. Dann fuhr er in seinem Bericht fort:
»Ich war schon ziemlich nahe am Ufer, als ich unvermittelt einen großen graublauen Felsbrocken aus dem Wasser ragen sah. Und da Graublau meine Lieblingstarnfarbe ist, dachte ich: Du schwimmst jetzt dorthin, umklammerst den Stein und saugst dich an ihm fest; auf diese Weise wird dich der Hai selbst aus zwei Schritt Entfernung nicht mehr erkennen. Ihr wißt ja, ich bin nicht nur von Natur aus graublau, sondern habe sogar blaues Blut in den Adern. Kurz, ich sagte mir: Von diesem Stein kann dich niemand losreißen, da müßten sie dich schon in deine Einzelteile zerlegen! Der Hai aber hatte bereits weit sein Maul aufgerissen, freute sich auf den Leckerbissen, der da zum Fressen nahe war. Diese Räuber wissen nämlich genau, daß unsereins sehr schmackhaft ist… Nur fragt mich nicht, wie ich bis zu diesem Stein gelangt bin. Halb besinnungslos vor Angst jagte ich wie ein Raketengeschoß dahin und glaubte ihn schon zu packen. Doch zu meiner Verwunderung setzte mir der Felsbrocken keinerlei Widerstand entgegen. Er öffnete sich vielmehr bereitwillig vor mir und nahm mich in sich auf, als wär ich in meiner heimischen Grotte! Und da ich mit dem Kopf rückwärts schwimme, konnte ich gerade noch das dumme, erstaunte Gesicht meines Verfolgers sehen. Es war ganz eindeutig – er fragte sich, wohin sein feines Frühstück verschwunden war, das er schon fast zwischen den Zähnen hatte.«
Der Krake war noch jetzt sichtlich befriedigt über diesen Effekt.
»Und wißt ihr, was das Seltsamste an dieser Geschichte ist?« sagte er. »Der Stein ließ nur mich durch, nicht aber den Hai! Mein Verfolger krachte mit voller Wucht dagegen. Ich glaube, dem ist der Schädel bis in den Magen gerutscht! Und während ich das noch beobachtete, spürte ich, wie ich unaufhaltsam ins Innere des Felsbrockens gezogen wurde. Zunächst leistete ich auch keinen Widerstand, ich dachte mir – je weiter weg, desto besser. Doch dann war es plötzlich zu spät, sich zu wehren. Ich hatte ganz deutlich die Empfindung, in zwei Teile gespalten zu werden… Na ja, und nun bin ich hier. Keine Ahnung, wo mein Doppelgänger abgeblieben ist. Vielleicht hat er Glück gehabt und schwimmt jetzt irgendwo im Meerwasser oder wenigstens in einem Aquarium, wo er als Tiefseewunder bestaunt wird. Wenn er allerdings Pech hatte, ist er als schmackhafter Bissen auf irgendeiner Festtafel gelandet! Obwohl ich das unzweifelhafte Gefühl habe, er befindet sich vorerst bei bester Gesundheit.«
»Wieder so ein graublauer Felsbrocken«, sagte Kostja stirnrunzelnd, nachdem der Krake seinen ausführlichen Bericht beendet hatte. »Meiner hatte dieselbe Farbe. Langsam werden mir diese Steine unheimlich!«
»Und ich glaube fast, daß all diese Steine eine Art Eingang zu unserem Synchrotunnel darstellen«, ließ sich Viola vernehmen. »Trotzdem begreife ich nicht, wieso Prim durchgelassen wurde, der Hai aber draußen bleiben mußte? Hör mal, Prim«, sie wandte sich an den Kraken, »warst du ganz allein, als du gegen den Stein geprallt
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