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Der Smaragdenregen

Der Smaragdenregen

Titel: Der Smaragdenregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurij Kusnezow
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bist?«

    »Außer dem Hai und mir gab es weit und breit keine Seele«, beteuerte der Achtfüßer. »Das heißt…« er zögerte einen Moment, bevor er verlegen hinzufügte: »Ich hatte natürlich diese schlafmützige Haliotismuschel dabei, die ich kurz zuvor schnappen konnte.«
    »Hast du sie noch?«
    »Aber ja, ich trenne mich keine Sekunde von ihr! Dieses Seeohr und das Stück Meereswoge sind schließlich alles, was mir von meinem Zuhause bleibt.«
    »Oh bitte, Prim, zeig uns die Muschel, ja?« riefen die Kinder wie aus einem Munde.
    Nach einigem Zögern langte der Krake mit einem der acht Arme in seinen von den Schwimmhäuten getarnten Mantelsack und reichte Kostja eine etwa zehn bis zwölf Zentimeter große Muschel.
    Noch nie hatte der Junge eine so wunderschöne Muschel gesehen. Ihre Perlmuttschicht schillerte vielfarbig in den hübschesten Mustern.
    Das Allerschönste an ihr aber war eine große Perle von eigenartiger zartgelber Färbung. Kostja und Viola betrachteten sie lange und von allen Seiten, bevor sie das Schmuckstück wieder ihrem Besitzer aushändigten. Voller Bedauern, wie man bemerken muß. Prim freilich hatte schon ungeduldig mit seinen Tentakeln herumgerudert, denn er hing ungeheuer an seinem Schatz und trennte sich höchst ungern von ihm, selbst wenn es nur für kurze Zeit war.
    Der Krake verstaute die Muschel schnell in seinem Mantelsack und sagte dann, wobei ihm die Überwindung anzusehen war:
    »Also schön, ihr dürft sie euch jeden Tag mal anschauen, wenn ihr wollt.«
    Ihm war nicht entgangen, wie entzückt die Kinder von dieser Muschel und besonders von der Haliotisperle waren.
    »Ich glaube, ich weiß jetzt, wie Prim in den Tunnel gelangen konnte«, sagte Viola unvermittelt. »Es muß an dieser Perle liegen. Sie ist wahrscheinlich so etwas wie ein Code für die unsichtbare Tür in dem Stein.«
    »Und sie hat es geschafft, uns vor dem gefräßigen Hai zu retten«, fügte der Krake hinzu.
    »Das ist ja wie in ›Aladins Wunderlampe‹«, rief Kostja aus. »Ein richtiges ›Sesam, öffne dich‹.«
    Der Junge hatte im Grunde, wie alle Kinder, viel für Märchen übrig, nur gab er das nicht gern zu, weil er schon zwölf war. Außerdem fällt es in unserem kosmischen Zeitalter ja auch wirklich schwer, an Wunder zu glauben. So etwas kann es im wahren Leben gar nicht geben! Und doch war Kostja unvermutet in eine märchenhafte Geschichte geraten, wie sie nicht einmal in »Tausendundeiner Nacht« vorkommt. Höchstens im Zauberland, mit dem Weisen Scheuch, dem Eisernen Holzfäller, dem Tapferen Löwen und all den Gestalten, die ihr ja kennt.
    Mitten in seine Überlegungen hinein sagte plötzlich der Krake:
    »Ich habe euch vorhin so verstanden, daß ihr gern die anderen Erdenmenschen finden würdet, aber nicht wißt, wie ihr das anstellen sollt. Ich könnte euch dabei helfen. Bestimmt habt ihr schon davon gehört, daß wir Octopoden einen ausgeprägten Sinn für Telepathie besitzen. Wir können also Gedanken über größere Entfernungen hin aussenden und empfangen. Unser Gehirn ist halt so beschaffen. Wie das genau funktioniert, weiß ich selber nicht, ich spüre nur, daß ich dazu imstande bin.«
    »Das stimmt«, bestätigte Kostja. »Ich hab mal in einem Buch von einem Riesenkraken gelesen, der alle Lebewesen in einem Umkreis von mehreren Kilometern so stark hypnotisierte, daß sie gehorsam zu ihm kamen.«
    »Dann seid jetzt mal ganz still«, bat Prim, »um etwas herauszufinden, muß ich mich konzentrieren.«
    Kostja und Viola setzten sich auf die kleine Bank vor der Grotte und sagten kein Wort mehr.
    Auch der Krake verharrte einige Augenblicke reglos. Dann marschierte er plötzlich über die Lichtung, und zwar auf eine ganz seltsame Weise: Zuerst schleuderte er halbkreisförmig seine Tentakel von sich, dann zog er den übrigen Rumpf nach. Es sah so aus, als würde er sich in seiner gesamten Fülle nach vorn ergießen. Jeder einzelne seiner Arme vollführte, großen Rädern gleich, schwungvolle Bewegungen. Auf diese Art erreichte Prim die Mitte der Lichtung. Dort streckte er sich der Länge nach hin, wobei er zu einer dünnen und flachen, jetzt allerdings riesengroßen Scheibe wurde.

    Prim hatte nun die Farbe der Lichtung angenommen und wäre kaum von ihr zu unterscheiden gewesen, hätte es da nicht die Farbreflexe gegeben, die in gleichmäßigen Abständen spiralförmig über seinen Leib glitten. Sie rührten daher, daß der Krake wie ein Funkpeiler die Umgebung um sich her nach den Wellen der

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