Der Sodom Kontrakt
Fünfzigern hatten stolze Automobilisten hier ihren ganzen Stolz gewaschen und Ölwechsel gemacht. Schneider legte eine CD mit den Ronettes in den Player. Laut erklang Be My Baby, während Schmidt sich auszog. Schneider stieg aus dem Wagen und schaute sich die Umgebung an. Zwischen Büschen und Bäumen konnte er im Scheinwerferlicht des BMWs das Wasser der Ruhr fließen sehen. Es schwappte schwarz und reißend über die Ufer. Der vom Regen aufgewühlte Fluss führte Hochwasser. Gespenstisch klangen die Tonfetzen der Ronnetes durch die Nacht. Schmidt stolzierte nackt in die Fluten und tauchte unter. Er war ein guter und erfahrener Schwimmer, musste sich aber am Ast eines im Wasser stehenden Baumes festhalten um nicht abgetrieben zu werden.
“Wer mit Sünde ist beladen, der soll sein Herz in Reue baden”, brüllte er über die tosenden Wasser. Ohne Vorwarnung prasselten schwere Regentropfen nieder. Schneider flüchtete sich ins Auto.
„ Man stürzt sich ins Wasser, wenn man sich vor Regen fürchtet“, lachte Schneider.
WITTEN. Vor dem Morgengrauen hatte Gill die Hütte verlassen. Mit dem Bus fuhr er von Bommern über die Ruhrbrücke in die Stadtmitte zum Rathausplatz. Er musterte die anderen Fahrgäste. Gesichter, die älter aussahen, als ihre Besitzer waren. Ein paar Arbeiter auf dem Weg zur Schicht. Keiner sprach. Jeder starrte vor sich hin, sorgenvoll in die Zukunft. Die verbissenen Mienen kommentierten die wirtschaftliche Lage realistischer als das Geschreibsel der Medienkellner.
Auf Gill wirkte ihr deprimierendes Dasein wie ein Aufputschmittel: Alles war besser als so ein Leben zu führen. Dumpfes, jahrzehntelange Malochen bis zum Herzinfarkt oder zur Leberzirrhose. Alles nur, um in einer miesen Bruchbude zu hausen, neurotische Kinder großzuziehen und mit einer Flasche Bier Fußball zu glotzen, während verbrauchte und verfettete Frauen preisgünstiges BSE-Fleisch in stinkenden Küchen zusammenbrieten. Ja, das Leben ist ein Geschenk, das man nicht zurückgeben kann. Müsste er heute sterben, wäre es ihm lieber als weitere vierzig Jahre wie diese Männer zu leben, die er nicht verstand.
Der Bus hielt und Gill beeilte sich, aus der Geisterbahn rauszukommen. Er überquerte die Hauptstraße und ging zwischen den Abstimmungsbuden zu einem Frühcafé. Die Holzbuden waren für eine Bürgerabstimmung errichtet, in der über die Bebauung des Rathausplatzes entschieden werden sollte. Bürgermeister, Ratsmehrheit und Verwaltung waren dafür. Der Großteil der Bevölkerung dagegen, und eine Unterschriftaktion sollte dem Ausdruck verleihen. Natürlich hatte der Bürgermeister auch eine Bude hingestellt, aus der tagsüber ein debiler Parteihelot krähte, um Unterschriften für die Bebauung einzuholen. Wenn Witten etwas nicht brauchte, dann weitere Büro- oder Geschäftsräume. Genug Läden gingen pleite, und Büroraum gab es mehr als genug. Wahrscheinlich wollten sich korrupte Politiker und eine ominösen Baufirma an Landeszuschüssen bereichern. Sowas hatte Gill oft genug beobachtet. Noch war wenig Betrieb auf dem Platz. Ein junger Mann in zerrissenen Sportschuhen kauerte mit vorgebeugtem Oberkörper auf einer Bank. Saß da wie eingefroren, als müsse er für sehr lange Zeit leblos beobachten, wie das Leben vorüberzog.
Einer, der dringend neue Büroräume braucht, dachte Gill bitter. Im Nichtrauchercafé bestellte er sich einen großen Kaffee, schwarz, und ein Croissant mit Butter. Die Bedienung war gereizt, keine begeisterte Frühaufsteherin. Vor dem Café rauchte er seine letzte Reval aus der Packung. Die Stadt erwachte: Busse kamen in kürzeren Abständen und spuckten weitere Zombies aus. Die Krämer öffneten ihre Läden um auch an diesem Tag ihren Schund zu verscherbeln. Gill betrachtete den bleiernen Himmel über dem geschmacklos gelb gestrichenen Rathaus der Ruhrstadt. Vielleicht würde es zur Abwechslung mal nicht regnen. Am Rathauses entlang ging er zu einem kleinen Park und setzte sich unter einem kahlen Laubbaum auf die feuchte Bank. Von hier aus überblickte er den gesamten Parkplatz. Vor einer Zeile mit renovierten Jugendstilhäusern stand ein Golf mit Dortmunder Nummernschild. Er suchte in seiner Lederjacke vergeblich nach Zigaretten. Die Sucht machte ihn ungeduldig und unaufmerksam. Er bemerkte den Opel mit den zwei Männern nicht, der getarnt zwischen zwei Autos stand. Die müden Insassen beobachteten den Golf.
Gill ging zum Golf. Er kniete sich hinter das Auto, tat so, als müsse er etwas an
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