Der Sodom Kontrakt
Augen kaum: die Zwischentür zu Schmidts Zimmer wurde geöffnet, und ein Monster stand im Türrahmen. Der zwei Zentner schwere Schmidt trug einen Kimono, der möglicherweise aus einem Zirkuszelt hergestellt worden war und ein weißes Stirntuch mit japanischen Schriftzeichen um den narbigen Schädel gebunden. In der Hand hielt er einen vollen Kognakschwenker.
“Morituri te salutant. - Die Todgeweihten grüßen dich, o Caesar.”
Schneider hatte gerade mehrere Tabletten gegen Herzverfettung, Rheuma, Syphilis und sonst was in einem Wasserglas aufgelöst und trank das widerwärtige Gesöff mit einem Schluck. Er brauchte täglich eine Mülltonne voller Drogen, um nicht durchzudrehen.
“Was soll das denn wieder, Herr Schmidt?”
“Ich weiß, es ist Italienisch, ich meine Latein. Aber auch das würde gut zu einem Samurai passen. Sind wir beide etwa keine modernen Samurai? Ronin? Fahrende Samurai, die ihre Dienste anbieten und für ihre Herren in die furchtbarsten Schlachten ziehen? Ronin kommt übrigens von Ro, Welle, und Nin, Mann. - Also Wellenmann, weil das Leben für ihn so unstet wie eine Welle ist.”
Schneider setzte sich entnervt auf das Sofa und starrte den Riesen an. Langsam wurde es schlimm. Er brauchte fast mehr Zeit, um dieses Monsterbaby unter Kontrolle zu halten, als für die Kontrakte. Andererseits war Schmidt die fähigste Killermaschine, die er je geformt hatte.
Schmidt stolzierte durch die Suite. Er stellte das Kognakglas auf dem Tisch ab. Er deutete Ausfallschritte an, schlug mit der Handkante durch die Luft, sprang hoch, trat einem imaginären Gegner in den Bauch und landete krachend auf seinen Elefantenfüßen. Dazu stieß er Schreie aus, die wie asiatische Kampfrufe klingen sollten. Der Boden bebte.
“Sehen Sie mein Stirnband? Mein schönes weißes Stirnband? Die Kamikaze haben so was getragen, bevor sie sich mit ihren Flugzeugen tollkühn auf die amerikanische Flotte stürzten. Ein edler Menschenschlag, die japanischen Samurai. Treu bis in den Tod!”
“Wie die Nibelungen.”
“Oh nein, Herr Schneider! Ganz anders. Die Nibelungen waren im Vergleich mit ihnen primitiv. Sie folgten nur ihrem König bis zum Ende. Die Samurai hatten einen komplizierten Ehrenkodex, den Bushido - den Weg des Kriegers. Bushido verlangt sittlich reine Lebensführung und stetige Todesbereitschaft. Es ist nicht einfach nur feudale Loyalität gegenüber dem Führer wie bei Hagen von Tronje, sondern ein mächtiger Ethikkodex. Einfach wunderbar!”
“Was lesen Sie gerade, Herr Schmidt?”
“Natürlich ein Buch über die Samurai. Es erweitert den Horizont.”
“Trinken Sie den Kognak noch?”
“Nein.”
“Dann schütten Sie ihn gefälligst zurück. Sparsamkeit ist die Voraussetzung für jeglichen Wohlstand. Nichts vergeuden. Weil die Wirtschaft diesen Grundsatz nicht beherzigt, torkeln wir in den Abgrund.”
“Sehr gut. Ein Samurai ist ein Asket, der sich mit den geringsten Dingen begnügt. Geistesmensch und Mann der Tat zugleich. So sehe ich uns beide: Übermenschliche Kämpfer mit hohem Geist auf einsamen ethischen Pfaden.” Wieder rannen ein paar Tränen über Schmidts faltiges Gesicht. “Ach, Herr Schneider! Wir sind Gottes einsamste Männer. Zwei deutsche Republiken sind verschwunden, und es gibt nur noch ein Vakuum. Alles ist reduziert auf den Standort Deutschland. Ich bin nicht zufrieden mit der Wiedervereinigung. Für aufrechte Ehrenmänner ist kaum noch Platz auf dieser Welt.”
Schmidt ließ seinen schweren Körper in einen Sessel knallen, der fast auseinanderbrach. Deprimiert starrte er Schneider an und zupfte an seinem Kimono. Schneider musterte ihn kalt. “Die Wiedervereinigung war eine Art Endzeitübung des Survival of the Fittest. Sie hat nicht nur die Welt der Blöcke des Kapitalismus und des real existierenden Sozialismus beendet, sondern auch das Endstadium des Raubtierkapitalismus eingeläutet, der völlig enthemmt um sich beißt und alles verschlingt. Es geht nicht um Wiedervereinigung mit unseren Brüdern und Schwestern im Osten, Sie Naivling...”
“Aber meine Mutter hat Weihnachten immer eine Kerze ins Fenster gestellt...”
“Es geht ums Beutemachen. Die Kapitalisten im Westen haben über die Staatskapitalisten im Osten triumphiert und mit ihrem Naturrecht ihre Krallen in die Beute gehauen. Das ganze Geschwätz über den Standort Deutschland hat nur ein Ziel: Die US-Multis demontieren unsere Industrie, wie die Russen nach dem Krieg die Fabriken in Ostdeutschland demontiert
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