Der Sodom Kontrakt
habe derart gute Kontakte ins Justizministerium gehabt, rühmte er sich in einem Prozess, dass er “mehr als einmal persönlich” in den oberen Etagen zugunsten eines Visumsantrags oder sogar einer Strafminderung interveniert habe. Seine Sexpartys in der Brüsseler Rue des Atrébates wurden nachweislich auch von Kripo- und Justizbeamten frequentiert. Seinen Einladungen zu den Partouzes in dem von der Kommune Etterbeek gemieteten Schloss Faulx-Les-Tombes bei Namur folgten Richter, Banker und Politiker. Besonderer Leckerbissen einer solchen “grande soirée” war laut Einladung das “dessert surprise!!!” ...Mit seinem Verein “Confrére des brasseurs” hielt er bei Kneipeneröffnungen und Marketing-Events Tuchfühlung mit der lokalen Politprominenz. Wer eine Genehmigung von der Kommune brauchte, so ein Freund, “wurde auf Michels Empfehlung sogar vom Bürgermeister persönlich empfangen.” Doch es gab auch den anderen Nihoul: Ein Mädchen will ihn als jenen “Onkel Michel” wiedererkannt haben, der sie gemeinsam mit ihrem Stiefvater missbraucht habe. Als Nihoul vorigen August wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an den Kindesentführungen verhaftet wurde, erklärte er, nur deshalb ständig in Kontakt mit Dutroux gestanden zu haben, weil er sich nach der Reparatur seines Audi 80 erkundigen wollte. Der Beamte der Brüsseler Sittenpolizei, der die Beziehungen des Lebemannes zur Pädophilenszene für die Staatsanwaltschaft Neufchâteau recherchieren sollte, wurde nicht fündig. Kein Wunder, denn Kommissar Georges Marnette hat eingestehen müssen, selbst die von Nihoul organisierten Partouzes besucht zu haben. 6
Gill nahm die letzte Fotokopie zur Hand. Sie stammte von einem ihn unbekannten Informationsdienst: Dieter Ewald Lambert gilt als enger Vertrauter des liberalen EU-Kommissars Veighans, wie auch des Bürgermeisters der Ruhrgebietsstadt Witten dessen letzten Wahlkampf er mit organisiert hatte. Auf Veranlassung des Bürgermeisters erhielt er dieses Jahr das Bundesverdienstkreuz, da er sich um die wirtschaftliche Progression der Region verdient gemacht hat. Seinen Kontakten ist es zu verdanken, dass sich neue Industrieunternehmen im Industriegebiet der sterbenden Stadt angesiedelt haben: Ein chemisches Versuchslabor des Giganten BLL sowie der ehemalige DDR-Betrieb Hackmann, der früher führender Hersteller für Landwirtschaftsprodukte war und aus Sachsen-Anhalt “umgesiedelt” wurde. Lamberts Begründung zur Niederreißung eines ostdeutschen Betriebes, der im Westen mit Fördermitteln aus Brüssel neu aufgebaut wurde: “Wittens Standort ist ideal, da es den landwirtschaftlichen Bedarf von Ostwestfalen bis Niedersachsen abdecken kann. Im Osten war der Betrieb chancenlos.” Lamberts eigene Firma ist an Hackmann mit 26% beteiligt. Die anderen Anteile hält eine Holding mit Firmensitz in Luxemburg. Nach Gerüchten ist es Lamberts Idee, den Wittener Rathausplatz mit Bürogebäuden zu bebauen. Während der Bürgermeister sofort Bereitschaft signalisiert hat, ist die Bebauung im Wittener Rat umstritten. Die Opposition und Teile der SPD haben sich gegen das Projekt ausgesprochen und einen Bürgerentscheid durchgesetzt. Lambert meldete “Verfassungsbedenken gegen diese Vorgehensweise an. Wenn es eine Bürgentscheidung gegeben hätte, wäre das Rad heute noch nicht erfunden.” Über Lamberts Hintergrund ist wenig bekannt. Er wuchs in den USA auf, studierte dort Wirtschaftswissenschaften und ging 1990 zur Treuhand. Gleichzeitig arbeitete er für die EU in Brüssel. Nach dem Mord an Treuhand-Chef Rohwedder, dessen Vertrauter er gewesen sein soll, wurde er von der Nachfolgerin Birgit Bleuel in seiner Position bestätigt. 1992 verließ er die Treuhand, kaufte landwirtschaftliche Firmen auf und siedelte sich mit ihnen im Wittener Industriegebiet Annen-Rüdinghausen an.
Vielleicht ist Lambert eine Spur, dachte Gill. Bei ihm gibt es genug Dreck, um eine eigene Mülldeponie zu eröffnen. Er verstaute die Akte in seiner Reisetasche und zündete sich genüsslich die erste Zigarette des Tages an.
Was sollte das alles? In was war er wieder reingeraten? Konnte sich sein Leben nicht in ruhigen Bahnen bewegen? Bevor er als junger Mensch seinen Weg hatte suchen können, war er in die Welt der Geheimdienste geraten. Als junges aufstrebendes Talent hatte Markus Wolf ihn persönlich gefördert. Man hatte ihn jahrelang als “Kundschafter” der Hauptverwaltung Aufklärung(HVA) der Staatssicherheit in allen Teilen der Welt
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