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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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unmöglich groß und ohne Hoffnung. Dylan Thomas hielt den Kopf gesenkt und weinte. Und Tristram Boye.
    Nicholas fühlte, wie sein Atemrhythmus ins Stocken geriet, und er saugte die kühle Luft ein.
    Er wusste, dass Tristram hier im Wald gestorben war, aber seinen Freund, seinen Held kurz vor seiner schändlichen Ermordung zu sehen, erfüllte ihn mit so furchtbarer Traurigkeit, dass er einfach nur umsinken wollte. Tristrams Mund war geschlossen, ein Handgelenk stand merkwürdig ab. Gebrochen. Nicholas’ Zunge schnellte zum Gaumendach, als er seinen Namen auszusprechen versuchte – Tris … Doch kein Laut kam aus seinem Mund.
    Die toten Kinder kämpften: Miriam schrie, Dylan schluchzte, Owen Liddy nickte wie ein Gelehrter. Plötzlich wurde der Kopf des Rothaarigen ruckartig nach oben gerissen. Sein Gesicht wurde heller, und seine Kehle öffnete sich, als wäre ein unsichtbarer Reißverschluss aufgezogen worden. Die Augen des Jungen blitzten auf und wurden trüb. Sein kleiner Körper zuckte krampfartig und wurde steif … dann verschwand er.
    Nicholas war schlecht.
    » Beeilung, Beeilung«, flüsterte Quill, gestikulierte in Richtung Nicholas und warf einen Blick zum Himmel. Sie stieg die kurze Stableiter zu der Kugel hinauf. Als sie auf der obersten Sprosse stand, öffnete sie eine Luke, die wie die Kugel selbst aus grauen Knochen und geflochtenem Holz bestand und riss sie weit auf, ehe sie wieder nach unten kletterte.
    Nicholas sah sie als das, was sie war: eine Spinne. Eine Spinne sie selbst: Aufgedunsen, alt und durstig huschte sie umher, um sich in der Mitte ihres uralten Netzes aus dunklen Bäumen zu schaffen zu machen.
    » Hinauf«, flüsterte sie. » Hinein.«
    Ein Wind kam auf, er kitzelte den Baumkreis und ließ ihn flüstern wie aufgeregte Zuschauer in einem nächtlichen Amphitheater. Nicholas’ Hände ergriffen Knochen und Äste, und seine Füße kletterten die Behelfsleiter hinauf. Vor ihm krümmten sich die toten Kinder in verzweifelter Angst. O Gott, nein, dachte er. Zwing mich nicht, da hineinzugehen … Aber seine Beine traten in die Luke, und sein Körper glitt hinterher, mitten in die Geister der benommenen, klagenden und weinenden verschwundenen Kinder.
    Es ist kalt, dachte er. So fühlt sich der Tod an.
    » Knie nieder«, sagte Quill.
    Er kniete nieder. Er nahm den Schmerz wahr, als sich das harte Holz in seine Kniescheiben bohrte, aber er konnte noch nicht einmal zucken als Reaktion darauf.
    » Arme hoch.«
    Seine Arme gingen bereitwillig in die Höhe. Während die Kinder gestreckt an ihren unsichtbaren Fesseln hingen, erreichten seine willigen Hände die kalten Stäbe und Knochen mühelos. Während er sich einhängte, stand das Haar des Mädchens im Sommerkleid plötzlich ab, und der Kopf ruckte nach oben. Sie wusste, sie würde sterben und wehrte sich, versuchte den Kopf hin und her zu werfen. Ihre Haut wurde plötzlich silbern und bleich, als wäre ein geisterhafter Scheinwerfer auf sie gerichtet worden, die Haut am Hals öffnete sich und ließ dunkleres, feuchtes Fleisch in dem tiefen Schnitt erkennen. Ihr kleiner Körper bog sich durch und erschlaffte dann langsam … und sie verschwand.
    » Warte«, sagte Quill. Sie war hinter ihm, außer Sicht, lauernd.
    Nicholas war größer als die Geister der Kinder. Seine Arme waren länger. Wo sie halb gekniet waren, saß er auf seinen Fersen hinter ihnen und konnte ihre ineinanderfließenden Hinterköpfe sehen.
    Er versuchte, sich mit Willenskraft dazu zu bringen, zu schreien, zu kämpfen, zu fliehen … aber er blieb reglos wie ein Mönch sitzen. Er hörte Quills vorsichtige Tritte auf der Leiter hinter ihm. Sie zog schwarzen Schleim in der Nase hoch.
    Dann wurde Miriams Haar heller, und die Haut an ihren Armen leuchtete. Nicholas begriff, was dieses geisterhafte Licht war: ein Widerschein des Mondlichts vor einigen Tagen. Plötzlich stand ihr Haar gerade ab, von einer unsichtbaren Hand gepackt und nach oben gerissen. Ihre Augen wurden groß. Nicholas sah, wie der Rand ihrer Kehle durch den Schnitt einer scharfen, unsichtbaren Klinge aufplatzte. Ihr zarter Körper bog sich in einer letzten animalischen Anstrengung durch, ihre Muskeln spannten sich krampfartig … dann verlor sie das Bewusstsein. Ihr Haar fiel herab wie ein letzter Vorhang. Ihr Körper erschlaffte und war einen Wimpernschlag später nicht mehr da. Vor Nicholas’ Augen zappelten sich jetzt noch die Geister von drei Jungen ab.
    O Gott, dachte Nicholas. Wie ein geschlachtetes Lamm,

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