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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie.
    Als sich seine Finger um den Knochengriff schlossen, verstand Nicholas plötzlich, was er gezwungen sein würde, zu tun. Nein, schrie es in ihm, aber sein Mund brachte kein einziges Wort des Protests heraus.
    » Folge mir«, sagte Quill. Sie zog ein Kopftuch von einem Zapfen neben dem Fenster und band es über ihr weißes Haar, dann öffnete sie die graue Holztür und trat in den Regen.
    Er glitt auf Beinen hinter ihr her, die einem fremden Befehl gehorchten, als würde er in einem geliehenen Körper transportiert.
    Er folgte ihr, während sie über die ordentlich gelegten, regennassen Pflastersteine neben dem Häuschen humpelte. Er konnte fühlen, wie seine Füße vorsichtig auf dem rutschigen Weg auftraten, wie er die feuchte Luft ruhig ein- und ausatmete, er spürte seine Hand am kühlen Knochengriff des Messers … aber er hatte keine Kontrolle über das alles. Er befahl seinen Füßen, stehen zu bleiben, aber sie gingen weiter. Er versuchte zu schreien, aber sein Atem behielt seinen gleichmäßigen Rhythmus bei. Er versuchte, das Messer wegzuwerfen, aber seine Finger hielten es fest. Er würde Hannah Gerlic die Kehle durchschneiden.
    Als hätte sie seine Gedanken gehört, blieb Quill stehen und drehte sich um. Der Regen klatschte ihr das aschgraue Haar über die schlaffe Haut, und die Kleidung hing ihr nass und schwer am Leib. Sie hob das Kinn. Zum ersten Mal konnte er – ohne ihre Zaubertricks – hinter dem alten Fleisch und der schrumpfenden Gestalt die Frau erkennen, die sie einmal gewesen war. Sie nickte ringsum zu den hohen, uralten Bäumen.
    » Es ist ganz einfach, du wirst sehen.«
    Am Rand der Lichtung flackerte etwas weiß und rosa auf und bewegte sich auf sie zu. Als es näher kam, spürte Nicholas, wie sein regelmäßiger Atem stockte. Die Gestalt war ein Kind, es hatte die Arme ausgestreckt, und die Fersen hüpften über den Boden, während es von unsichtbaren Händen geschleift wurde. Das Mädchen im Sommerkleid aus den Vierzigern. Als es vorüberschwebte, gingen seine großen Augen zu Nicholas, ihr Blick war flehend und resigniert. Er spürte, wie sich sein Magen umdrehte. Das Mädchen schrie lautlos und flog rückwärts in eine kreisrunde Baumgruppe hinter ihnen.
    Quill humpelte unbeirrt weiter zur Rückseite des Häuschens. Sie hatte den Geist nicht gesehen.
    Inwiefern könnte mir das helfen? fragte sich Nicholas.
    Sie bog um die Ecke, und er folgte dicht hinter ihr. Sie sahen es beide gleichzeitig. Die waagrechte Kellertür lag auf dem aufgeweichten Untergrund, der Regen spritzte auf die Ziegeltreppe.
    Quill starrte lange darauf, ihre Augen waren groß und der Mund fest geschlossen – dann fuhr sie zu Nicholas herum. Sie zitterte von Kopf bis Fuß. Wut strahlte wellenförmig von ihr aus. Nicholas durchlief eine freudige Erregung. Hannah muss entkommen sein! Quill öffnete den Mund und stieß ein Kreischen aus, das fremd und schrill klang, nicht wie ein Tier oder ein Vogel, sondern ein Geräusch, das viel älter war und zutiefst beunruhigend.
    Der Boden selbst schien dunkel zu schimmern. Er kräuselte sich wie die Oberfläche eines dunklen Teichs, die von einer starken und unsichtbaren Kraft unter ihr bewegt wird. Und ein insektenartiges Knistern war durch den Regen zu hören. Nicholas strengte sich an und wandte die Augen dem Wald zu, der sie umgab. Die dunkle Welle kam immer näher, bis er sah, was es war: Der Boden wimmelte von Spinnen. Tausende und Abertausende Spinnen. Hunderttausende. Manche waren klein wie Reiskörner, andere groß wie Essteller. Glatt und hart, haarig und grau. Eine Million runde, schwarze Augen versammelten sich um die alte Frau auf einem Meer unruhiger, dürrer Beine und runder, geschwollener Unterleiber.
    Nicholas fühlte eine Welle urtümlicher Angst durch seine Eingeweide rauschen und an seinem Rücken emporkriechen.
    Die Spinnen sahen Quill an und warteten.
    Sie zitterte. Wütend, blass.
    Und vor Angst, erkannte er.
    Nicholas blickte über die Masse der Spinnen. Sie bedeckten Büsche und Quills ordentlich gestutzte Hecken. Sie türmten sich übereinander, gespannt und lauschend. Quills Mund arbeitete. Sie sah Nicholas unsicher an. Ihre Finger bebten. Ihr Kiefer zitterte. Dann sprach sie.
    » Sucht das Mädchen«, flüsterte sie mit einer Stimme, die eher klang, als würde sie einem Schnabel entspringen als menschlichen Lippen. » Sucht es. Tötet es. Und bringt es weit, weit fort!«
    Die Spinnen setzten sich in Bewegung. Wie eine Welle, die vom Strand

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