Der Sog - Thriller
zurück ins Meer schwappt, zog sich die ungeheure Masse von der Lichtung zurück in den Wald.
Quill drehte sich zu Nicholas um. Ihre Augen waren nass, aber nicht vom Regen. Sie trat vor ihn. Ein Lächeln kroch über ihr Gesicht, aber es zerfiel sofort wieder. Mit einer Hand wischte sie ihm den salzigen Speichel vom Mund, mit der andern nahm sie ihm das Messer aus der Hand.
» Mein Armer«, flüsterte sie. » Komm.«
Sie ging auf die kreisförmige Baumgruppe zu, und er folgte.
Er wusste, was geschehen würde. Sie würde ihn stattdessen töten.
41
Zweige schlugen Hannah ins Gesicht, und die spitzen Haken mächtiger Schlingpflanzen zerkratzten ihr das Handgelenk und wickelten sich um ihre Füße. Sie war erschöpft. Sie rannte nicht mehr auf ihrer hektischen Flucht, sie ging. Ihr Bein pochte schmerzhaft, wo die Schrotkugel in ihr Bein gedrungen war, und das Glied fühlte sich wie ein Gewicht an, das sie mitschleppen musste. Der Regen hatte nachgelassen, aber schwere Tropfen fielen weiter wie kalte Kiesel von hohen, verborgenen Blättern auf ihren Kopf und Hals. Das Schälmesser war nass und drohte ihr beständig aus der Hand zu gleiten. Ihr Atem ging in schmerzhaften, ungenügenden Stößen – tief und gierig saugte sie die Luft ein. Sie wusste, sie sollte besser stehen bleiben, bevor sie stolperte und sich noch mehr verletzte, aber die Erinnerung an das tote schwarze Kind in seinem Kokon trieb sie weiter.
Die Dunkelheit war dicht, aber nach den Stunden im Keller waren ihre Pupillen maximal geweitet, und sie konnte wenigstens die gröbsten Umrisse von stehenden und gestürzten Baumstämmen erkennen. Sie sah einen gefallenen Baum ein paar Schritte vor sich und ließ sich keuchend darauf nieder, ohne auf die Kälte zu achten, die mit der Nässe augenblicklich bis zu ihrem Gesäß vordrang.
Sie wusste nicht, ob Stunden oder Minuten vergangen waren, seit sie den Lederriemen durch die Ritze in den Türbrettern gefädelt und beobachtet hatte, wie er sich über den Schließbolzen schlang. Die Augenblicke, in denen sie vorsichtig an beiden Enden des Riemens nach unten gezogen hatte – an einem Ende eine Spur stärker als am andern – waren die anstrengendsten ihres ganzen Lebens gewesen. Jedes Mal, wenn der Bolzen unter dem nassen Leder zu weit rutschte und klapperte, hämmerte ihr Herz, und sie wartete darauf, dass die Tür aufgerissen wurde, und etwas, das sie versteinern ließ, sie packen würde. Schließlich hatte sie jedoch das richtige Maß gefunden, den Bolzen aufrecht gestellt und vorsichtig zur Seite geschoben … und der Riegel hatte die Tür freigegeben.
Das Brennen in ihrem Bein ließ endlich nach, und ihr Atem ging leichter. Und jetzt?, fragte sie sich. Nach Hause rennen? Ihren Eltern alles erzählen, der Polizei, die ohne Frage schon da war? Und dann? Sie hier hereinführen? Nein, sie würden sie nicht aus dem Haus lassen. Ihre Geschichte war unglaubwürdig. Sie würden die Schusswunde in ihrer Wade sehen, hören, dass Nicholas auf sie geschossen hatte …
Sie würden kommen, um ihn zu jagen, nicht Quill.
Und das wäre sein Tod, wenn er nicht schon tot ist.
Aber er war nicht tot, davon war Hannah überzeugt. Sie konnte es fühlen: Nicholas lebte. Aber wie lange noch?
Sie wischte den schwarzen Plastikgriff des Schälmessers ab. Miriam war tot. Nicholas würde bald sterben. Und die alte Hexe würde ungestraft davonkommen. Dumpfe Wut loderte in ihr auf.
Es sei denn …
Sie holte tief Luft, wischte noch einmal über den Messergriff und machte sich auf den Weg zurück zur Hütte.
Laine saß auf der Rückbank des Polizeiwagens und hörte, wie der Regen auf dem Dach von einem Dröhnen über ein leichtes Trommeln zu einem sporadischen Flüstern abnahm. Sie warf einen Blick zu dem zweiten Polizeiauto zurück und konnte durch die Wasserwirbel vage die Silhouetten von Katharine und Suzette links und rechts von einem großen Polizeibeamten auf dem Rücksitz des Fahrzeugs ausmachen.
Laine wandte sich wieder den beiden Beamten zu, die mit ihr im Wagen saßen. Beide Männer saßen vorn, einer trank Tee aus einer Thermoskanne, der andere starrte mürrisch in den Regen. Zwischen ihnen und Laine war ein Trenngitter.
» Ich denke, Sie müssen mich verhaften oder gehen lassen«, sagte sie.
» Tja«, sagte der mit Tee, sprach jedoch nicht weiter.
» Wir behalten sie erstmal im Trockenen«, sagte der andere. » Bald werden wir weitersehen.«
Laine kam es vor wie Stunden, seit die Polizisten sie, Suzette und
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