Der Sog - Thriller
Katharine zu sich gerufen hatten, als sie mit Spaten und Mistgabeln in der Hand auf den Wald zugeeilt waren. Laine hatte über Katharines flinke Lüge gestaunt, sie drei würden zu einer Naturschutzgruppe gehören. Sie und Suzette hatten die Flunkerei aufgenommen und erklärt, dass sie bei einer seltenen Zwergsyzygiumart den Mulch wenden mussten, damit die Wurzeln nicht verfaulten. Die Polizei wollte sie mehr oder weniger schon wieder gehen lassen, als Katharine alles verdorben hatte, indem sie wahrheitsgemäß auf die Frage nach ihrem Namen antwortete. » Close« stand für die Beamten eindeutig in Verbindung mit den Kindern der Gerlics. Und so hatte man den drei Frauen ihre Behelfswaffen abgenommen und sie getrennt in Autos verfrachtet, wo ein Strom von Fragen auf sie niederging, bis der Regen jede Unerhaltung unmöglich machte.
Laine war so kühn gewesen, mehrmals zu fragen, wieso die Polizei nicht da draußen sei, um nach Hannah Gerlic zu suchen, statt sie zu schikanieren, worauf der donnernde Regen seine eigene Antwort gegeben hatte.
» Ich glaube, ich muss mit meinem Anwalt sprechen«, sagte sie schließlich.
Die Polizisten sahen einander an. Hinter ihnen ging eine Wagentür auf und zu. » Warten Sie hier.« Die Beamten in ihrem Wagen öffneten ebenfalls die Tür und traten in den Nieselregen hinaus.
Laine sah, wie sie vier weitere Beamte trafen und wie alle die Köpfe zusammensteckten. Arme zeigten auf den Wagen, in dem Katharine saß, Hände gestikulierten in Richtung Laine, zum Himmel, zum Wald. Köpfe nickten. Taschenlampen gingen an. Männer marschierten auf die dunkle Baumlinie zu.
Ein Minibus hielt auf dem Seitenstreifen, und Männer und Frauen in den orangefarbenen Overalls des State Emergency Service stiegen aus.
Die Vordertür von Laines Auto ging auf, und einer der Beamten nahm wieder Platz. Er drehte sich zu ihr um.
» Möchten Sie eine Tasse Tee?«
42
Der Gang von der offenen Kellertür zurück an Quills Häuschen vorbei und dann weiter zu der runden Baumgruppe vollzog sich langsam und lautlos wie in einem Traum.
Nicholas hob den Blick zum Himmel. Der Regen hatte so gut wie aufgehört, und Wolken trieben auseinander wie brüchiges Spitzengewebe in einem steifen Wind. Dahinter blinkte das kalte, schwache Licht von Sternen. Vor ihnen glitzerte eine runde Wand von Bäumen, und ihre nassen Blätter wisperten einander mit heimlichem Tröpfeln zu.
Als Quill zwischen zwei Bäumen durchging, berührte sie liebevoll den Stamm des einen. Sie sah sich nicht nach ihm um.
Nicholas wusste, was los war. Hannah war fort. Quill brauchte ein Wunder. Um eins heraufzubeschwören, brauchte sie Blut. Sie würde seines verwenden.
Eine Gestalt glitt durch ihn hindurch, und er riss überrascht die Augen auf, doch mehr Erschrecken ließ sein Körper nicht zu. Miriam Gerlic schrie tonlos, sie hatte die Hände auf den Rücken gebunden, und die Beine strampelten, während sie von unsichtbaren Händen zwischen den Bäumen hindurch getragen wurde. Als sie langsam aus dem Blickfeld verschwand, fielen ihre Geisteraugen auf Nicholas … dann wurden sie von schwarzen Ästen verborgen.
Nicholas stieß seinerseits einen lautlosen Schrei aus, während sein Körper ihn weiter in den Baumkreis trug.
Der Untergrund war nass, sandige Erde, sauber geharkt. In der Mitte des unnatürlichen Wäldchens stand auf etwa einen Meter hohen Stelzenbeinen ein Podest, auf dem ein kugelförmiger Käfig aus geflochtenen Zweigen und Knochen ruhte.
Quill humpelte zu dem Käfig und blieb daneben stehen. Der Käfig war von einer fließenden Wolke sich bewegender Schatten gefüllt. Als Nicholas näher kam, begriff er, worum es sich handelte: In dem Käfig befanden sich fünf oder sechs Kinder, halb knieten sie, halb hingen sie, und ihre Geisterkörper verschmolzen miteinander. Alle waren mit den Handgelenken an den gebogenen Ästen auf der Oberseite des Käfigs aufgehängt. Ein halbes Dutzend Kinder. Ein halbes Dutzend Geister. Ihre Gesichter überlappten sich und verschwammen. Aber in ihrem jeweiligen Kampf lösten sie sich für Augenblicke aus der Masse, und Nicholas konnte das Entsetzen jedes Einzelnen sehen. Der kleine Owen Liddy in seinen langen Shorts, das Gesicht bleich vor ungläubiger Furcht. Das Mädchen im Sommerkleid aus den Vierzigern, die nackten Füße aufgerissen und blutig. Ein weiterer Junge, jünger als die andern und rothaarig, hatte die Augen über den tränennassen Wangen fest geschlossen. Miriam Gerlics Augen waren
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