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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gesehen hatten. Doch am Ende war dem Jungen, der Dylan hieß (die Presse verzichtete ganz gegen ihre Gewohnheit auf geschmacklose Witze darüber, dass die Kindsmutter ihn unwissentlich nach diesem hoffnungslosen Alkoholiker benannt hatte), vom ersten Tag an nicht zu helfen gewesen. Seine Leiche hing in Mangrovenbäumen rund sechs Kilometer flussabwärts von Tallong. Eine Rudermannschaft der Highschool – die bei Wind und Wetter trainierte, und dieses Jahr bestimmt die Meisterschaft des Bundesstaats gewinnen würde, jawohl! – fiel Dylans rote Trainingshose ins Auge, die im Halbdunkel der Uferlinie auf und ab tanzte. Ein Sprecher der Polizei sagte, dem Jungen sei die Kehle durchgeschnitten worden. Es gab keine eindeutigen Hinweise auf ein Sexualverbrechen; die lange Zeit im Wasser erschwerte jedoch eine entsprechende Feststellung. Die Polizei wünschte einen Mann von mittelöstlichem Aussehen zu befragen, der drei Nächte zuvor nicht weit von einer Bushaltestelle in der Nähe gesehen worden war.
    Nicholas und Katharine machten sich im Haus zu schaffen und gingen sich aus dem Weg. Als die Fernsehnachrichten den Fund von Dylans Leiche meldeten, sahen sie schweigend vom Sofa aus zu. Sie mussten sich nicht gegenseitig auf die unheimliche Ähnlichkeit zu 1982 hinweisen, als man Tristrams Leiche drei Ortschaften von Tallong entfernt in einer geräumten Wohnanlage gefunden hatte, weil ein blasses Bein aus einem Berg Bauholz, Wurzeln und Blech herausragte. Wie Dylan hatte man ihm die Kehle durchgeschnitten.
    Nicholas schaltete das Fernsehgerät aus.
    Draußen ließ der Regen endlich nach.
    » Ich mache uns Tee«, sagte Katharine leise.

3
    Oktober 1982
    Es war der Nachmittag eines sehr schlimmen Tages.
    Mit zehn Jahren war Nicholas ein schmales Bürschchen, mit einer Andeutung der Drahtigkeit, die er als Mann bewahren sollte. Seine dünnen Beine beschrieben langsame Bögen durch die dumpfe, heiße Nachmittagsluft und wichen sorgfältig den trockenen, scharfen Rändern des Schwertgrases aus, das unzufrieden in der leichten Brise zischte. Er ging auf dem schmalen Kiespfad, der den breiten Grasstreifen neben der Carmichael Road der Länge nach teilte. Die Riemen seiner Schultasche schnitten ihm in die Schultern, und die Sonne bohrte sich von einem Himmel in seine Augen, der das helle, harte Blau von römischem Glas hatte.
    Er schwitzte leicht, aber das grelle Sonnenlicht störte ihn nicht. Es half ihm, die Erinnerung an die Schande des Tages zu tilgen, bot Raum für müßige Phantasien, in denen er einer der Desert Rats von Tobruk oder ein mürrisch blickender Araber war – eine braune und furchtlose Gestalt, die in den schimmernden Dünen nach kampfbereiten, aber zum Untergang verurteilten Deutschen Ausschau hielt.
    Er hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Suzette lag mit Mumps im Bett, und es würde noch weniger als sonst mit ihr anzufangen sein. Mum schälte wahrscheinlich mit zackigen Bewegungen Gemüse oder bearbeite Schuluniformen mit dem Bügeleisen und wunderte sich dabei, wie ein Junge so viele Kekse essen und trotzdem so dünn bleiben konnte. Sein Freund Tristram war zum Trompetenunterricht in der Schule geblieben, er konnte ihn also nicht besuchen und Battleship oder Demolition Derby mit ihm spielen. Nein, er hatte es nicht eilig.
    Es ging auf vier Uhr zu, und die Hitze war übel – es war sauheiß, wie seine Mutter sagen würde –, und in diesem Fegfeuer zwischen Schulende und Freizeit schien niemand außer Nicholas auf den Straßen von Tallong unterwegs zu sein. Keine Autos durchbrachen den flirrenden Hitzeschleier, der sich über den schwarzen Teer schlängelte. Mit Schindelbrettern und Fertigplatten verkleidete Häuser verkrochen sich zum Schutz gegen die sengende Hitze unter roten oder grünen Wellblechdächern. Ihnen gegenüber, zu Nicholas’ Rechten, lag der Wald.
    Der Wald. Einige Hektar, so dicht von Dschungelunterholz, Eukalyptusbäumen, Trompetenwinden und Wandelröschen bewachsen, dass Nicholas von der Carmichael Road aus nicht weiter als zehn Meter in ihn hineinsah. Auf irgendeiner Karte der Gemeinde gab es bestimmt einen richtigen Namen, aber er nannte ihn einfach den » Wald«, weil ihn seine Mutter so nannte, weil ihn Tristrams Eltern und sein älterer Bruder Gavin so nannten und Mrs. Ferguson vom Obstgeschäft ebenfalls. Von der alten Straßenkarte seines Vater wusste Nicholas, dass sich der Wald von hier, von der Carmichael Road, aus bis zu den braunen Schlingen des Flusses erstreckte –

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