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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Tristram.
    » Leck mich«, sagte Nicholas.
    Tristram sah ihn einen Moment lang schockiert an – dann brach er in Lachen aus über den kühnen Gebrauch des saftigen Schimpfworts. » Leck dich selber!«
    Nicholas stimmte in das Gelächter ein.
    Tränen liefen ihnen über das Gesicht. Nicholas stand auf und wischte sich über die Augen. Er sah einen Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Carmichael Road halten, eine unauffällige, olivgrüne Limousine.
    » So, du Gassenkind«, sagte Tristram und deutete. » Hier ungefähr habe ich die tote Katze gefunden.« Der letzte Satz ließ die Fröhlichkeit schlagartig verschwinden. » Und wo hast du den Vogel gefunden?«
    Nicholas sah sich um, orientierte sich und streckte den Arm aus. Sie gingen rund zwanzig Schritte auf dem Kiesweg weiter.
    » Hier etwa …« Er blieb abrupt stehen. » Igitt.«
    Der Vogel war immer noch da. Im Gras versteckt, mit einem flüchtigen Blick nicht zu sehen, war der kleine Körper des Vogels in der Hitze aufgedunsen, seine federlose Haut war nun wie ein Ballon. Die sauber abgeschnittenen Beine ließen streichholzgroße Knochenabschnitte sehen. Jahre später würde Nicholas den richtigen Ausdruck finden, um es zu beschreiben: wie ein Talisman. Die im Tod verkrampften Klauen als Hörner. Die akut gefährlichen Striche, in rostbraunem Blut aufgemalt. Der stumme, fremde Kopf. Nichts daran war zufällig oder als Spaß gemeint. Der Vogel war getötet und sein Körper zu etwas entstellt worden, das sich … böse anfühlte. Ja. Böse.
    Nicholas sah Tristram an.
    Tristram starrte auf den toten Vogel. Der Mund stand ihm offen, und er hatte die Augen aufgerissen. Ein Lächeln kräuselte seine Lippen. » Er ist wunderschön«, flüsterte er. Ohne zu zögern, kniete er nieder und griff vorsichtig nach dem geflochtenen Kopf. Er war immer noch fest an den Körper gespießt, und Tristram hob den Kadaver daran aus dem Gras. Eine weiße Flüssigkeit begann aus dem Vogel zu tropfen. Nein, keine Flüssigkeit, sondern blasse, sich windende Puppen. Maden.
    » Wow …« Das freudige Lächeln auf Tristrams Gesicht wurde breiter.
    Nicholas spürte, wie sich sein Magen umdrehte, er fühlte sich, als ob er Durchfall hätte, schwach und ängstlich. » Fass ihn lieber nicht an, Tris. Tris!«
    Er stieß an Tristrams Arm, und sein Freund ließ die geschändete Kreatur auf den Weg fallen. Der geschwollene Körper platzte auf, ein Hauch Fäulnis lag in der Luft und Maden begannen aus ihrem Nest zu kriechen.
    Tristram starrte nun plötzlich voller Entsetzen auf das verseuchte Ding. » Äh, igitt.«
    Trotz des Falls steckte der geflochtene Kopf immer noch an dem winzigen Körper, wie fest entschlossen, die Sache zu Ende zu bringen.
    » Ich fasse es nicht, dass du ihn aufgehoben hast«, sagte Nicholas.
    Als er auf den Fußballen zurückschaukelte, sprang ihm eine Bewegung jenseits der Carmichael Road ins Auge. Die Fahrertür des grünen Wagens ging auf. Ein Mann stieg aus: ein großer Mann in einem dunklen Anzug. In der hoch stehenden Sonne war sein Gesicht scharf in hartes, grelles Licht und tiefe Schatten getaucht, doch es schien, als würde er zu den Jungen blicken.
    Er schaut zu uns her, dachte Nicholas. Ich fühle es.
    » Tris. Wir sollten nach Hause gehen.«
    Tristram wischte sich die Hände an seiner Shorts ab und starrte auf den toten Vogel. » Ich dachte, es ist …«
    » Lass uns gehen«, zischte Nicholas. Tristram blickte auf.
    Der Mann überquerte die Straße und kam durch das Gras direkt auf sie zu. Er war sogar noch größer, als Nicholas gedacht hatte: kräftig gebaut wie ein Rugbyspieler, aber älter, in den Vierzigern. Irgendwie machte ihn sein mittleres Alter noch unheimlicher. Der Mann wandte den Kopf betont langsam nach links und rechts und schätzte seine Umgebung ab. Er hielt nicht nach anderen Erwachsenen Ausschau, damit sie mit ihm die Jungen ausschimpften, weil sie mit Steinen warfen und Spielzeuggewehre durch die Gegend schleppten.
    Er schaut, ob es Zeugen gibt.
    Es gab keine, und der Mann beschleunigte seine Schritte.
    Nicholas und Tristram sahen einander an. Sie konnten nicht zur Straße laufen. Wenn sie versuchten, links oder rechts den Pfad entlangzuflitzen, konnte ihnen der Fremde mühelos den Weg abschneiden. Es gab nur einen Fluchtweg.
    Sie rannten in den Wald.
    In seinen zehn Jahren hatte sich Nicholas schon oft gefürchtet. Doch diesmal kostete er zum ersten Mal etwas wie nackte Angst. Das Adrenalin schmeckte bitter auf seiner Zunge.

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