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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Niedrige Äste und zähes Gestrüpp schlugen ihm ins Gesicht und kratzten seine Beine auf. Neben ihm hatte Tristram die Augen weit aufgerissen und rannte mit wehendem Haar. Es war, als liefen sie durch Schnee, sie mussten anstrengende, hohe Schritte machen, um über verknotete Ranken und Unterholz zu steigen. Hinter sich hörten sie das gleichmäßige Knirschen schwererer Schritte. Nicholas wagte einen Blick zurück. Der Mann im Anzug war ein Rhinozeros zwischen den Bäumen, er pflügte mitten durch Gewächse, über die die Jungen gestolpert wären.
    Er holte auf.
    Nicholas konnte die Angst auf dem Gesicht seines Freundes sehen. Keiner von ihnen brauchte zu fragen, warum ein fremder Mann sie jagte. Sie wussten – jeder wusste –, dass es Männer gab, die Kinder raubten.
    » Welche Richtung?«, flüsterte er. Seine Wangen waren nass; er begriff, dass er weinte.
    » Wir sollten …«, keuchte Tristram, » uns trennen.«
    Bei dem Gedanken, allein mit dem Mann hinter ihm zu sein, wurde Nicholas von neuem Entsetzen gepackt. » Niemals!«
    » Auf diese Weise … kriegt er uns nicht beide.«
    Der Wald wurde dichter und dunkler, da nur noch winzige Splitter von Himmel über ihnen sichtbar waren. Breite Stämme und hochliegende Wurzeln wuchsen näher zusammen und bildeten ein finsteres und rutschiges Labyrinth. Feuersteinähnliche Steine lugten scharf unter den nassen Brauen verfaulter Blätter hervor.
    Die Jungen krabbelten einen steilen Anstieg hinauf und kratzten sich Knie und Handflächen an stachligen Ranken und versteckten Schieferplatten auf. Der Mann war nur noch ein Dutzend Schritte hinter ihnen. Nicholas rauschte das Blut in den Ohren, aber darüber hörte er den Atem des Mannes mit der grauenhaften Monotonie eines Hydraulikkolbens gehen. Er könnte dieses Tempo den ganzen Tag durchhalten. Aber er würde nicht den ganzen Tag benötigen, um sie einzuholen. Nur noch Minuten. Augenblicke.
    Bei der Aussicht, Tristram zwischen den Bäumen verschwinden zu sehen und allein mit diesem riesigen, nicht aufzuhaltenden Mann hinter ihm zu sein, machte er sich fast in die Hose, aber Tristram hatte Recht.
    » Okay«, keuchte er. » Noch über die Kuppe. Dann teilen wir uns auf.«
    Tristram nickte.
    Nicholas warf einen verstohlenen Blick zurück und stieß einen Schrei aus. Der Mann war nur noch zwei Körperlängen hinter ihnen und stapfte den Anstieg hinauf, die Hände vorgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. Jahre später sollte er Boris Karloff in dem Film Frankenstein sehen, und das Bild des Monsters, das sich mit weit ausgestreckten Armen vorwärtsschleppt, ließ ihn die Kontrolle über seine Blase verlieren. Das Schrecklichste war das Gesicht des Mannes. Es war schlaff und ausdruckslos. Es war kein Zorn in ihm, keine Begierde. Er war emotionslos wie ein Krokodil. Und er würde sie erwischen.
    Neue heiße Tränen brannten in Nicholas’ Augen. Er holte so tief Luft, wie er konnte und schrie: » Hilfe!«
    Das Wort wurde von den Bäumen geschluckt und erstarb ohne Echo. Wir Idioten! Warum haben wir nicht geschrien, als wir noch nahe der Straße waren? Ihre Dummheit ließ ihn noch heftiger weinen.
    » Helft uns!«, brüllte Tristram. Wieder wurden die Worte von den gierigen Stämmen schwarzer Feigen, den dunklen Farnen, dem endlosen Laub festgehalten.
    Sie hatten die Anhöhe fast erklommen. Nicholas sah Tristram an. Keine Tränen, aber sein Gesicht war angespannt und blass. Eifersüchtige Liebe durchflutete ihn. Tristram zeigte auf sich selbst und dann nach links. Nicholas nickte – er würde nach rechts gehen. Sie erreichten den Kamm.
    Ihr Plan ging in die Brüche, als Tristram plötzlich verschwand.
    Nicholas, der ein, zwei Schritte hinter ihm war, sah ihn schlicht ins Leere fallen. Er bremste gerade noch rechtzeitig ab, um nicht ebenfalls über den Rand zu stürzen. WUMM. Drei Meter tiefer landete Tristram im Bett des Wasserlaufs.
    » Oh.« Der unscheinbare Laut war viel schlimmer und enthielt mehr Schmerz als ein Schrei.
    Nicholas riss den Kopf herum. Der Mann war nur ein paar Schritte entfernt und walzte das letzte Stück des Hangs herauf – er war so nahe, dass Nicholas ihn riechen konnte: eine Mischung aus Schweiß, Zigarettenrauch und Old Spice.
    Ohne weiter nachzudenken, sprang er.
    Einen scheinbar endlos langen Moment fiel er und wartete darauf, dass ihn mächtige Pranken zurückrissen … dann landete er in dem feuchten, belaubten Bachbett. Tristram rappelte sich gerade auf und hielt sich den rechten Arm; das

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