Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
Lebens ein Teil desselben sein würde. Eine Verantwortung, in die er erst hineinwachsen musste. “Wir müssen jetzt einfach nur überlegen, wie es weitergehen soll.”
Hannah schaute zu ihm auf. Sie nahm ihn durch den Schleier ihrer Tränen nur verschwommen war: “Weißt du, ich könnte in Joey’s Treff kellnern. Joey wäre sicherlich froh, wenn er hört, dass ich immer arbeiten könnte, nicht nur sonntags und in den Semesterferien oder zwischendurch mal abends. Das Restaurant ist sehr gut angelaufen. Es hat sich herumgesprochen, dass man dort sehr gut essen und gemütlich sitzen kann. Er müsste früher oder später noch Personal einstellen. Ich denke er könnte Unterstützung jetzt sehr gut gebrauchen. Und du arbeitest ja auch in den Semesterferien. Außerdem hast du ja noch das Geld auf dem Bankkonto, das dir dein Vater einrichtete und das uns gut über die Runden helfen würde.”
“Und deine Zwischenprüfung?”
“Ich kann doch später, wenn du ein erfolgreicher Rechtsanwalt bist, mein Studium wieder aufnehmen. Ich bin doch noch jung”, insistierte sie mit einem leichten Anflug von Euphorie, “jetzt geht es doch nur darum, dass wir einigermaßen gut über die Runden kommen. Alles Weitere sehen wir dann.”
“Komisch”, sinnierte Alexander mehr zu sich selbst als zu Hannah, “ganz plötzlich löst sich ein eben scheinbar unlösbares Problem fast wie im Nichts auf.” Voll Vertrauen, von dem noch Minuten zuvor nichts, aber auch gar nichts zu spüren war, streichelte er ihren Bauch und lächelte: “Wir packen das, Hannah! Wir packen das!”
*
2
Die Natur war längst aus ihrem Winterschlaf erwacht und verwandelte sich allmählich zu einem einzigen großen Blumenstrauß. Es roch so herrlich. Hannah kam gerade von der Arbeit bei Joey und war auf dem Weg nach Hause.
*
Joey war ein kräftiger urwüchsiger Bursche. Er war 35 Jahre alt, groß und breitschultrig. Ein ganzer Kerl eben und lebte seit fünf Jahren in einer Beziehung mit dem zwei Jahre älteren Thomas, ein begnadeter Koch. Joeys dunkelblondes dickes, unzähmbares Haar, umrahmte sein Gesicht und gab diesem Hünen ein etwas jungenhaftes Aussehen. Doch das Jungenhafte verlor sich, angesichts seiner grünen Augen, die einen ziemlich scharfen stechenden Ausdruck hatten. Man hätte ihm bei der ersten Begegnung niemals diese ruhige, besonnene und dennoch herzliche Art, die sein Wesen bestimmte, zugetraut. Als Hannah ihm erzählte, dass sie ihm ab sofort als feste Mitarbeiterin zur Verfügung stand, war er hoch erfreut. Dennoch fragte er etwas besorgt: “Ja, und was ist mit deinem Studium?” Als er jedoch von Hannahs Schwangerschaft erfuhr, hob er diese zierliche Frau, wie ein Kind, brüsk in die Höhe und drückte sie vor Freude.
Schlimmer empfand sie die kürzlich erfolgte Beichte bei ihren Zieheltern. Schließlich waren sie stolz auf ihre Hannah; stolz, dass sie Hannah, nach diesen herben Schicksalsschlägen mit ihrem Einfühlungsvermögen auf einen guten Weg bringen konnten. Stolz, dass Hannah das Zeug hatte zu studieren.
Hannah wählte die Nummer in Stuttgart und hatte Tante Sophia an der Strippe. Als sie nach der ersten freudigen Begrüßung allmählich mit ihrer Neuigkeit herausrückte, war es einen Moment ganz still. Hannah spürte, dass ihre Tante enttäuscht war. Sie vernahm, wie Onkel Robert im Hintergrund ganz ungeduldig fragte, was eigentlich los sei. Ihre Tante legte wohl die Hand auf den Hörer, denn wie durch einen Filter gedämpft, hörte sie, wie sie dem Onkel in aller Kürze von Hannahs Schwangerschaft erzählte. “Was?”, hörte sie in rufen und schon hatte er Tante Sophia den Hörer aus der Hand genommen, “wir werden Großeltern? Hannah! Meine Hannah.” Konnte es sein, dass das ein freudiger Ausruf war? Hannah war sich noch nicht ganz sicher. “Naja”, meinte er, “zugegeben, es ist ja nicht gerade ein günstiger Moment, ich meine so mitten in der Ausbildung, aber … wenn’s halt passiert ist. Man kann das kleine Wesen doch deshalb nicht gleich verdammen, oder!” Hannah fiel ein Stein vom Herzen. Wahrscheinlich hatte sie diese Einstellung ihres Onkels der Tatsache zu verdanken, dass sie beide ungewollt kinderlos gebliebenwaren. Er musste es als großes Glück empfunden haben, wenn andere ihr Schicksal der Kinderlosigkeit nicht teilen mussten.
*
Hannah atmete die herrlich würzige Frühlingsluft tief ein. Sie liebte den Frühling. Es war ein Sprießen und Drücken. Alles drängte, sich zu entfalten gleich einer
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