Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
nehmen. Einfach Urlaub machen. So wie esArmin und Dr. Bischoff es empfohlen hatten.’ Doch jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Aber wann war der richtige Zeitpunkt? Gab es den überhaupt? Sicher irgendwann, aber nicht jetzt, ausgerechnet im Mozartjahr. Er schaute in seinen Terminkalender. Es gab da im auslaufenden Monat noch ein paar kleinere Einladungen, die er absagen konnte. Erst im Juli war wieder ein größerer Anlass angesagt, bei dem er selbst aber nicht aktiv mitwirkte. Den konnte er eventuell auch noch absagen. Das würde er aber erst dann entscheiden, wenn es so weit war. Jetzt wollte er einfach nur ausruhen und er legte sich hin. TSiur einfach auskurieren’, dachte er, ‘nur einfach auskurieren’, und er schlief ein. Er träumte wild durcheinander, sah verrückte Bilder. Zuerst war es ein Flugzeugabsturz direkt auf ein Hochhaus, in dem sich seine Mutter und Tatjana aufhielten. Dann bebte die Erde und eine große Tsunamiwelle überschwappte das Opernhaus. Das Opernensemble wurde wie Streichhölzer hinweggefegt, seine Partitur weggetragen. Er sah sie auf dem Wasser wie kleine Schiffchen davonschwimmen. Dann plötzlich war da Nathan, sein guter väterlicher Freund, der lächelte und ihm freundlich zunickte: ‘Bleibe immer du selbst, Alexander’.
Alexander erwachte schweißgebadet. Wie lange hatte er geschlafen? Er schaute auf die Uhr mit der Datumsanzeige. ‘Das kann doch nicht sein. Ich kann doch nichtzwölf Stunden geschlafen haben, zwölf Stunden wie bewusstlos.’ Dennoch fühlte er sich nicht erholt.
Die nächsten Tage verließ Alexander seine Wohnung nicht. Er fand aus seiner betrübten Stimmung einfach nicht heraus. Was war nur los mit ihm? Was verursachte diese Stimmung? Er hatte Erfolg, er war beliebt, er hatte sich der Magie der Musik verschrieben und konnte die Musik so rüberbringen, dass auch Menschen, ohne musikalische Ambitionen, plötzlich zu Liebhabern von Opern und Konzerten wurden. Und er hatte seine Familie, die er über alles liebte. Dennoch gab es im Moment nur eine Farbe, mit der er, hätte man ihn gefragt, seine momentane Verfassung beschrieben hätte: schwarz!
Die wenigen Termine bis Ende Juni hatte er abgesagt. Der Grund, so erklärte er, sei eine Grippe, die ihn voll im Griff habe und er daher das Bett hüten müsse. Das kaufte man ihm ab.
Doch irgendwann musste er sich etwas zum Essen besorgen und so ging er, fast wie in Trance, um die Ecke einkaufen, natürlich um nicht erkannt zu werden, wieder mit Sonnenbrille und Schildkappe. Sein Gesicht war unrasiert und aschfahl.
Als er zurückkam, sah er, dass der Anrufbeantworter blinkte. Er hörte ihn ab: “Hallo Alexander, ich bin’s Mama. Ich wollte mich nur mal melden. Man hört so gar nichts von dir, außer das, was in den Medien steht, wie die Sache, als du ein Konzert ziemlich wütendverlassen hattest. Aber darüber kannst du uns ja am Sonntag bei deiner Geburtstagsfeier berichten. Wir freuen uns auf dich. Ich habe übrigens Tatjana getroffen. Sie kommt auch zu deinem Geburtstag. Ich hoffe es ist dir recht. Also mein Sohn. Bis Sonntag, falls ich vorher nichts mehr von dir höre.”
Alexander rief seine Mutter kurz zurück. “Hallo Mama. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Eine Erkältung weißt du. Aber ich bin auf dem Wege der Besserung. Sonntag bin ich wieder okay.”
“Warum hast du denn nichts gesagt, mein Junge. Ich wäre doch zu dir gekommen und hätte dir etwas zu essen gebracht und dich wieder gesund gepflegt.”
“Mama, es ist doch nur eine Erkältung. Nicht der Rede wert. So Mama, ich lege mich wieder hin. Bin noch ein bisschen schwach. Ich freue mich auf Sonntag. Bis dann.”
Es war Donnerstag. Bis Sonntag würde es ihm sicher wieder besser gehen, wenn er sich nur genug Ruhe gönnte. Er war einfach bloß müde und wollte schlafen. Doch den erholsamen Schlaf konnte er trotz Müdigkeit nicht finden. Er versuchte, sich zu entspannen, doch seine Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Auch am Freitag änderte sich nichts an Alexanders Zustand. In seiner melancholischen Stimmung empfand er nur tiefe Traurigkeit und Niedergeschlagenheit und sein Kopf und seine Glieder schmerzten. Er stürzte immer tiefer ingeheimnisvolle, emotionale Abgründe. Es war, als fiele er in ein schwarzes Loch, aus dem es keinen Weg hinaus gab. Durch seinen Kopf wirbelte es wild; Gedankenfetzen, Musikfetzen und dann war da immer wieder Gottliebs Stimme. ‘Folge mir einfach. Komm mit mir. Es ist ganz leicht, ganz
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