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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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hatte. Mit ein wenig Strategie, mit ein wenig Bemühungen und Spiel wäre sie im Stande gewesen, einen guten neuen Anfang zu haben. Sie hätte ihren Mann erfreuen können. Es ist grausam, wenn eine Frau betrügen muss, um sich zu schützen. Aber viele haben es getan, und es hat zweifellos ihre Existenz zumindest erträglich gemacht. Nicht meine Schwester. Sie war nicht im Stande gewesen, das Theater zu spielen, das zum Überleben erforderlich war. Und Fionn war kein geduldiger Mann. Ich spürte die Schläge seiner Hand und seines Gürtels, wie sie es gespürt hatte. Ich spürte, wie ich benutzt wurde, wenn ich nicht wollte, und ich spürte ihre Scham, obwohl es nicht ihr Fehler war.
    Nach einer Weile begann ich, meine Anwesenheit in ihren wirren Gedanken zu zeigen. Ich zeigte ihr eine jüngere Niamh: das flammenhaarige Mädchen, das in ihrem weißen Kleid herumgewirbelt war und sich nach einem Leben des Abenteuers gesehnt hatte. Ich zeigte ihr das Kind, das auf einem Teppich aus Laub so schnell gerannt war wie eine Hirschkuh. Ich zeigte ihr Augen so blau wie der Himmel und die Wärme der Sommersonne in ihrem Haar. Und Ciaráns Gesicht, als er mir den kleinen weißen Stein gab und sagte: Sag ihr … gib ihr das hier. Er liebte sie. Er war vielleicht weggegangen, aber er liebte sie. Dessen war ich sicher. Ich konnte ihr nicht die Zukunft zeigen, denn die sah ich selbst nicht. Aber ich badete ihren Geist in Liebe und Licht und Wärme, und ihre Hand entspannte sich in meiner, als die Kerze niedriger und niedriger brannte.
    Sie schlief und schnarchte, leise und entspannt wie ein kleines Kind. Sehr langsam, sehr sorgfältig zog ich meinen Geist aus ihrem zurück, stopfte ihr die Decke um die knochigen Schultern zurecht, richtete mich auf, streckte mich und spürte den Schmerz vollkommener Erschöpfung in jedem Körperteil. Finbar hatte die Wahrheit gesagt; man tat so etwas nicht, ohne einen Preis dafür zu zahlen. Ich ging unsicher zu dem schmalen Fenster und schaute hinaus auf den Hof, weil ich mich irgendwie vergewissern musste, dass die wirkliche Welt noch da war, denn mein Kopf war voll böser Bilder und wirrer Gedanken. Ich war erschöpft und dem Weinen nahe.
    Der Mond war im Abnehmen begriffen, eine schmale Sichel an einem dunklen Himmel mit Wolken, die rasch weitergeblasen wurden. Drunten im Hof brannten Fackeln, und ich konnte trübe die Umrisse der allgegenwärtigen Wachtposten sehen, sowohl drunten als auch hoch droben auf dem Wehrgang. Die ganze Nacht über hielten sie Wache. Das genügte schon, um zu bewirken, dass man sich wie eine Gefangene fühlte, und ich fragte mich, wie Aisling und der Rest der Menschen dieses Haushalts es ertragen konnten. Ich starrte hinaus in den Nachthimmel, und mein Geist streckte sich über die Steinmauern der Festung, über die Marschen hinweg, über das Land im Norden. Ich war müde bis in die Knochen, so müde, dass ich mich danach sehnte, dass jemand seine starken Arme um mich legte, mich umarmte und mir sagte, ich hätte mein Bestes getan und dass alles gut werden würde. Ich musste wirklich erschöpft sein, um mir eine solche Schwäche zu gestatten. Ich starrte ins Dunkel und stellte mir vor meinem geistigen Auge diese Männer um ihr Lagerfeuer vor, die gebannt zuhörten, als ich ihnen die traurige Geschichte von Cú Chulainn und seinem Sohn Conlai erzählte. Und ich dachte, sie mochten vielleicht Fianna sein, aber ich wäre lieber bei ihnen als hier, so viel wusste ich. Ich schloss die Augen und spürte, dass mir heiße Tränen über die Wangen liefen, und bevor ich mich mahnen konnte aufzuhören, schrie meine innere Stimme: Wo bist du? Ich brauche dich. Ich glaube nicht, dass ich es ohne dich schaffen kann. Und genau in diesem Augenblick spürte ich, wie sich das Kind zum ersten Mal in mir rührte, ein kleines Beben, als wollte er schwimmen oder tanzen oder beides. Ich legte die Hand sanft auf die Stelle, wo er sich geregt hatte, und lächelte. Wir gehen hier weg, Sohn, sagte ich ihm lautlos. Zuerst helfen wir Niamh. Ich weiß noch nicht, wie, aber ich habe es versprochen, und ich muss es tun. Dann gehen wir nach Hause. Ich habe genug von diesen Mauern und Toren und Schlössern.
    Mutige Worte. Nicht, dass ich mir vorstellte, dass Niamh so leicht zu sich zurückfinden würde, oder so schnell. Wenn die Hoffnung verschwunden ist, hält man es kaum für wert, an die Zukunft zu denken. Es war gut, dass ich dieses Kind in mir trug und seinen Lebenswillen mit jeder kleinen

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