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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Bewegung spürte, oder ich wäre vielleicht selbst in die Grube ihrer Verzweiflung gesunken.
    Die Tage vergingen, und die Zeit, wenn Eamonn und Fionn nach Sidhe Dubh zurückkehren und ich nach Hause gehen musste, kam näher. Niamh blieb durchscheinend wie ein Geist, aß und trank kaum genug, um zu überleben, und sprach nur, wenn es die Regeln der grundlegendsten Höflichkeit notwendig machten. Aber ich konnte kleine Zeichen der Veränderung an ihr erkennen. Sie konnte nun schlafen, solange ich an ihrem Bett saß und ihr die Hand hielt, bis sie eingeschlafen war, und diese Zeiten waren am besten dazu geeignet, in ihren Geist zu gleiten und langsam ihre Gedanken auf das Licht zuzuschieben.
    Sie wollte nicht mit mir über den Wehrgang gehen, wo die Wachen standen, aber sie kam mit hinunter in den Hof, gut verhüllt in ihrem langärmeligen Gewand und matronenhaften Schleier, und ging mit mir vorbei an Rüstkammer und Vorratsschuppen, Schmiede und Ställen. Sie war sehr still. Unter Menschen zu sein schien eine Qual für sie zu sein. Ich las in ihren Gedanken, wie unrein sie sich fühlte, denn sie glaubte, dass alle sie beobachteten und sie für eine hässliche Schlampe hielten. Dass sie untereinander flüsterten, wie gut es war, dass Lord Eamonn sie nicht geheiratet hatte, wie einmal alle erwartet hatten. Dennoch, sie ging mit mir und sah zu, wie ich diesen oder jenen grüßte, mit ihnen vielleicht über ihre Krankheiten sprach, und der Aufenthalt in der Luft brachte ein wenig Farbe in ihre bleichen Wangen. An nassen Tagen erforschten wir stattdessen das Innere der Festung. Manchmal ging Aisling mit uns, aber häufiger war sie in der Küche oder in den Vorratskammern beschäftigt oder verhandelte mit einem Verwalter. Sie würde Sean eine gute Frau werden, denn sie ergänzte mit ihrer ruhigen, ordentlichen Art seine aufbrausende Energie.
    Sidhe Dubh war in der Tat ein seltsamer Ort. Ich fragte mich, was für ein Mensch Eamonns Urahn wohl gewesen sein mochte, was ihn dazu gebracht hatte, sich hier niederzulassen, mitten in den unwegsamen Marschen. Er war zweifellos ein fantasievoller Mann gewesen, und vielleicht ein wenig exzentrisch, denn es gab viel seltsame Dinge hier. Es gab gemeißelte Säulen in der Haupthalle, von denen Fantasietiere herabgrinsten, kleine Drachen, Seeschlangen und Einhörner. Und dann war da der Bauplan der Festung selbst mit ihrem Tunnelweg vom Tor nach oben und das zweistöckige Gebäude an der inneren Mauer, in dem die Familie lebte. Nie hatte ich ein Haus mit seltsamen abzweigenden Gängen, verborgenen Öffnungen, falschen Ausgängen, mit mehr Falltüren und Geheimwegen und verräterischen Brunnenschächten gesehen. Diesmal hatte ich die Gelegenheit, Stellen zu entdecken, die ich nie zuvor gesehen hatte, denn ich war ein Kind gewesen, als ich zum letzten Mal Eamonns Zuhause besuchte, und man hatte es mir verboten, mich zu weit von den anderen zu entfernen. In meinem Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass Niamh sich bewegte – denn ich wusste, dass der Körper heilen musste, wenn die Seele heilen sollte –, ging ich mit meiner Schwester auch durch den langen Tunnel, der sich den Hügel hinabwand und unter der Steinmauer hinweg in den Hof führte. Dieser Weg war immer von Fackeln beleuchtet und voller zuckender Schatten, und viele kleinere Seitengänge zweigten dort ab. Einige hatten Holzwände, einige steinerne. Niamh weigerte sich, sie zu erforschen, aber meine Neugier war geweckt, und ich kehrte später am Nachmittag zurück, als sie schlief. Es war notwendig, ein paar Tricks einzusetzen, die ich von meinem Vater gelernt hatte, um mich ungesehen an den Wachen vorbeizuschmuggeln, um erreichen zu können, was ich wollte. Ich war der Ansicht, es wäre besser, wenn niemand mein plötzliches Interesse an möglichen Schlupflöchern aus der Festung bemerkte und mir vielleicht solche Expeditionen verbot. Ich nahm eine Laterne und folgte den abzweigenden Wegen, entdeckte eine Vorratskammer für Käse und Butter ähnlich den Höhlen, die wir zu einem solchen Zweck zu Hause benutzten. Ich fand einen kleinen Raum, der keinen Boden hatte, stattdessen ging es sehr tief abwärts, und als ich einen Stein warf, konnte ich bis fünf zählen, bevor ich das Platschen hörte. Und weiter drunten an demselben Weg gab es lichtlose Zellen mit jeweils einer Bank und eisernen Fesseln an den Mauern. Es waren keine Gefangenen hier, nicht jetzt. Die Zellen waren voller Spinnennetze und seit vielen Jahren nicht benutzt.

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