Der Sohn der Schatten
Wasser hängen und sehen zu, wie die Fische vorbeischwimmen, silbrige Fische, halb verborgen vom Glitzern des Sonnenlichts auf der Seeoberfläche. Wir warten darauf, dass die Schwäne auf dem Wasser landen. Einer führt sie an, die anderen folgen und gleiten im Gold des Spätnachmittags, um zu landen, die weißen Flügel ordentlich gefaltet, als das Wasser sie aufnimmt. Sie schwimmen wie Geister aus dem Halbdunkel der Abenddämmerung.«
So erzählte ich eine Weile weiter, und Niamh lag still da, aber sie war wach, und ich sah genug von ihrem Geist, um zu begreifen, dass die Verzweiflung nie weit von der Oberfläche entfernt war.
»Liadan«, sagte sie, als ich innehielt, um Luft zu holen. Sie öffnete die Augen, und ihr Blick war alles andere als ruhig.
»Was ist denn, Niamh?«
»Du erzählst von vergangenen Zeiten, davon, was gut und einfach war. Diese Zeiten werden nie zurückkehren. Liadan, ich schäme mich so. Ich fühle mich … so schmutzig, so wertlos. Ich habe alles falsch gemacht.«
»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«
Sie rollte sich zusammen, einen Arm um den Körper geschlungen, eine Faust gegen den Mund gedrückt. »Es ist die Wahrheit«, flüsterte sie. »Ich muss es glauben.«
Es klopfte leise an der Tür. Das war Aisling, die nachsehen wollte, ob alles in Ordnung war, denn es war beinahe Zeit zum Abendessen, und wir waren immer noch hier eingeschlossen. Ich sprach leise mit ihr und sagte, Niamh sei müde, und bat um ein wenig Essen und Wasser auf einem Tablett, wenn das nicht zu viel Umstände machte.
Kurz darauf brachte eine Dienerin Brot und Fleisch und Bier, und ich nahm es entgegen, dankte ihr und schloss die Tür wieder fest.
Niamh wollte nichts essen oder trinken, aber ich tat es. Ich hatte Hunger – das Kind wuchs. Ich konnte die leichte Schwellung meines Bauchs nun deutlich sehen und spüren, dass meine Brüste schwerer wurden. Bald würden die Veränderungen allen deutlich werden. Aber Niamh wusste es nicht, und wahrscheinlich hatte niemand daran gedacht, es ihr zu sagen.
»Liadan«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum hören konnte.
»Hm?«
»Ich habe Mutter traurig gemacht. Ich habe sie verletzt, als sie … als sie … und ich wusste es nicht einmal. Liadan, wie konnte ich nur übersehen …«
»Still«, sagte ich und musste mich anstrengen, mir die Tränen zu verbeißen. »Mutter liebt dich, Niamh. Sie wird uns immer lieben, ganz gleich, was geschieht.«
»Ich … ich wollte mit ihr sprechen, ich wollte es wirklich, aber ich konnte es nicht. Ich konnte mich nicht dazu zwingen. Vater war so streng, er hasste mich dafür, dass ich sie aufgeregt hatte und …«
»Still. Am Ende wird alles gut werden. Du wirst schon sehen.« Das war dummes Selbstvertrauen. Wie konnte ich dafür sorgen, dass es gut wurde, wenn jene, die bisher so stark gewesen waren, umherdrifteten wie Laub, das hilflos in den Stürmen von Meán Fómhair umhergeweht wurde? Vielleicht war das ein Teil des alten Bösen, von dem sie sprachen, etwas, das so böse und mächtig war, dass es alles durcheinander brachte. Dennoch versuchte ich sie zu beruhigen, und am Ende lag sie wieder still da, wenn sie auch immer noch die Fäuste ballte. Ich erinnerte mich daran, was Finbar mir gezeigt hatte, wie er meinen Geist mit freudigen Bildern und friedlichen Gedanken gefüllt hatte, damit ich mich besser fühlte. Er hatte gesagt, ich müsse lernen, meine heilende Gabe zu nutzen. Vielleicht war es für nichts anderes als dies: meiner Schwester die Ruhe zu erleichtern. Also tat ich, was ich zuvor schon getan hatte: Ich stellte mir vor, Niamh zu sein und angespannt auf dem Bett zu liegen und zu versuchen, die Welt auszuschließen. Ich ließ meinen Geist in ihren gleiten; aber diesmal behielt ich die Kontrolle, so dass ich Liadan blieb, im Stande, Antworten zu finden, im Stande zu heilen.
Es war nicht wie in jener anderen Nacht, als Bran meinen Arm so fest umklammert hatte und sein Geist zu mir aufgeschrien hatte wie der eines verängstigten Kindes. Aber ich hätte viel dafür gegeben, einige der Dinge, die ich dort sah, nicht wissen zu müssen. Ich erlebte mit meiner Schwester die Erniedrigung, die Gewalt. Bevor sie geheiratet hatten, hatte Fionn ihre Schönheit gesehen und von ihren Tugenden gehört. Sie hatte beides tatsächlich einmal im Übermaß besessen. Aber er hatte nicht mit Ciarán gerechnet und der Tatsache, dass Niamhs Herz und ihr Körper bereits vergeben gewesen waren, als sie ihn geheiratet
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