Der Sohn der Schatten
nicht, glücklich zu sein, Liadan. Ich habe es nie verdient.«
Mir war heiß vor Zorn. Hätte ich ein Messer gehabt und wäre Fionn Uí Néill in der Nähe gewesen, dann hätte mich nichts davor zurückhalten können, ihm die Waffe ins Herz zu stoßen und noch einmal fest umzudrehen. Hätte ich einen Söldner oder mehrere erreichen können und einen kleinen Beutel Silber gehabt, um sie zu bezahlen, hätte ich seine Hinrichtung befohlen. Aber ich war hier in Sidhe Dubh, und Fionn war der Verbündete meines Bruders und Liams. Ich war hier mit meiner Schwester, die nun die Augen öffnete und mir ihr Gesicht zuwandte, so hilflos und zerbrechlich, dass ich wusste, dass Zorn nicht helfen würde, zumindest nicht in diesem Augenblick. Ich wollte sie an den Schultern packen und sie ordentlich schütteln und anschreien: Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum hast du ihm nicht in sein arrogantes Gesicht gespuckt und ihm einen Tritt verpasst? Oder wenn du das nicht geschafft hast, warum bist du nicht einfach weggegangen? Denn ich wusste, wäre ich an ihrer Stelle gewesen, dann hätte ich mir so etwas nie gefallen lassen. Ich wäre lieber als Bettlerin über die Straßen gezogen, als mich so erniedrigen zu lassen. Aber irgendwo war in Niamhs Kopf alles verdreht. Sie glaubte alles, was Fionn ihr sagte. Ihr Mann sagte, es sei ihr Fehler, also musste es so sein. Nun war Niamh beinahe verschlungen von der Hässlichkeit dessen, was ihr angetan worden war. Und wir alle trugen ebenfalls Schuld daran. Die Männer unseres Haushalts hatten ihr Schicksal besiegelt, als sie sie von Sevenwaters weggeschickt hatten. Selbst ich war schuldig. Ich hätte gegen ihre Verbannung ankämpfen können und hatte es nicht getan.
»Leg dich hin, Niamh«, sagte ich sanft. »Ich will, dass du dich ausruhst, selbst wenn du nicht schlafen kannst. Du bist hier in Sicherheit. Dieser Ort ist so gut bewacht, dass selbst der Bemalte Mann nicht hier eindringen könnte. Niemand kann dich hier anrühren. Und ich verspreche dir, du brauchst nie zu deinem Mann zurückzukehren. Du wirst sicher sein. Ich verspreche es dir, Niamh.«
»Wie … wie könntest du so etwas versprechen?«, flüsterte sie und wehrte sich gegen meine Hände, als ich versuchte, sie aufs Kissen zu drücken. »Ich bin seine Frau, ich muss ihm gehorchen. Die Allianz … Liam … ich habe keine Wahl … Liadan, du hast gesagt, du würdest es nicht erzählen …«
»Still«, sagte ich. »Ich werde einen Weg finden. Vertraue mir. Jetzt ruh dich aus.«
»Ich kann nicht«, sagte sie zitternd, aber sie legte sich hin, die blasse Wange auf eine schlanke Hand gestützt. »Sobald ich die Augen schließe, kommt alles zu mir zurück. Ich kann es nicht wegschieben.«
»Ich werde bei dir bleiben.« Ich konnte kaum meine eigenen Tränen zurückhalten. »Ich werde dir eine Geschichte erzählen oder reden – was immer du willst. Ich werde dir vorsingen, wenn du willst.«
»Lieber nicht«, sagte meine Schwester mit einem Schatten ihrer alten Bosheit.
»Dann werde ich einfach reden. Ich will, dass du auf meine Stimme hörst und über meine Worte nachdenkst. Denk nur an die Worte, sieh nur das, wovon ich spreche. Hier, lass mich deine Hand halten. So ist es gut. Wir sind im Wald, du und ich und Sean. Erinnerst du dich an den breiten Weg unter den Buchen, wo man laufen und weiterlaufen kann, scheinbar für immer? Du warst immer die Schnellste, immer vor uns. Sean tat sein Bestes, dich einzuholen, aber er hat es nie geschafft, bis du der Meinung warst, dass du zu alt für solche Dinge wärst. Ich kam immer als Letzte, weil ich stehen blieb, um mich nach Beeren umzusehen oder ein Blatt aufzuheben oder zuzuhören, wie die Igel im Farn raschelten, oder ich versuchte den Stimmen der Baumwesen hoch über unseren Köpfen zu lauschen.«
»Du und deine Baumwesen«, schnaubte sie ungläubig, aber zumindest hörte sie zu.
»Du läufst barfuß über diesen Weg und spürst den Wind in deinem Haar, das weiche, trockene Laub unter den Füßen, du läufst durch die Lichtstrahlen, wo die Sonne schräg durch die Baumkronen fällt, wo sie das Grün und Gold der letzten Blätter des Herbstes einfängt, die noch an den Bäumen hängen. Und plötzlich hast du das Seeufer erreicht. Dir ist warm vom Laufen, und du gehst weiter ins Wasser, spürst die kühlen Wellen an deinen Fußgelenken, den weichen Schlamm unter deinen Füßen. Später legst du dich auf die Steine, zusammen mit Sean und mir, und wir lassen die Finger ins
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