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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Vielleicht achtete Eamonn darauf, erst gar keine Gefangenen zu machen. Ich war froh, dass ich Niamh nicht mitgenommen hatte, denn diese Mauern schrien die Verzweiflung geradezu heraus. Es hing eine dunkle Hoffnungslosigkeit über dem Ort, die eine kalte Hand auf meine Gedanken legte. Ich zog mich rasch zurück und nahm mir vor, meine Neugier beim nächsten Mal zu zügeln. Als ich wieder zum Haupttunnel kam, spürte ich eine winzige Bewegung hinter mir, und eine Katze schoss vorbei, tiefer aus dem dunklen Weg mit den unbenutzten Zellen, eine schwarze Katze, die sich so rasch bewegte, dass ich gerade noch Zeit genug hatte, um zu entdecken, dass sie eine sehr große und sehr tote Wasserratte im Maul hatte. Es gab also tatsächlich einen Weg nach draußen. Einen schmalen Weg, vielleicht zu schmal, als dass ein Mensch sich hindurchzwängen konnte. Aber es gab einen Weg. Ich war versucht, zurückzukehren und danach zu suchen, aber es würde bald Abendessen geben, und ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Bald, mein Sohn, sagte ich lautlos und spürte, dass er mich auf einer gewissen Ebene verstand. Bald gehen wir dort hinunter, und vielleicht werden wir eine Weile hier herauskommen. Ein wenig Raum finden. Wenn wir Glück haben, sehen wir vielleicht einen Vogel oder einen Frosch. Ich muss tief atmen. Ich muss über diese Steinmauern hinwegschauen können. Ich hatte Aisling bereits so höflich ich konnte gefragt und die Antwort erhalten, die ich erwartet hatte. »Gehst du nie nach draußen?«, hatte ich gesagt. »Bringt es dich nicht um den Verstand, hier die ganze Zeit eingeschlossen zu sein?«
    Aisling sah mich erstaunt an. »Selbstverständlich gehen die Leute nach draußen«, sagte sie. »Es ist kein Gefängnis. Wagen bringen Vorräte, und die Männer reiten Patrouillen. Wenn Eamonn zu Hause ist, ist es hier noch geschäftiger als jetzt.«
    »Und ich nehme an, jeder Wagen wird von oben bis unten durchsucht«, meinte ich trocken.
    »Selbstverständlich. Macht ihr das in Sevenwaters nicht?«
    »Nicht, wenn es unsere eigenen Leute sind.«
    »Eamonn sagt, es wäre klüger so. Man kann dieser Tage nicht vorsichtig genug sein. Und er sagte ebenfalls …«
    Sie hielt inne.
    »Was?«, fragte ich und sah ihr in die Augen.
    Sie hob die Hand, um sich eine ihrer roten Locken hinters Ohr zu streichen, und schaute ein wenig verlegen drein. »Nun, Liadan, wenn du es wissen musst, er sagte, er würde es vorziehen, wenn ihr, du und Niamh, nicht nach draußen gehen würdet, solange ihr hier seid. Es gibt keinen Grund für euch, die Mauern zu verlassen. Wir haben hier alles, was ihr braucht.«
    »Hm.« Der Gedanke, dass Eamonn Regeln für mich aufstellte, besonders jetzt, da keine Möglichkeit einer Ehe zwischen uns bestand, gefiel mir nicht. Vielleicht war er nach allem, was geschehen war, davon überzeugt, ich würde immer wieder in Schwierigkeiten geraten.
    »Versteh mich nicht falsch, Aisling«, sagte ich. »An deiner Gastfreundschaft ist nichts zu bemängeln. Aber Sevenwaters fehlt mir. Mir fehlen der Wald und das offene Gelände. Ich weiß nicht, wie du und Eamonn hier leben könnt.«
    »Es ist unser Zuhause«, sagte sie schlicht. Und ich erinnerte mich, dass Eamonn einmal gesagt hatte: Es wird kein Zuhause sein, ehe ich dich nicht in der Tür stehen sehe, mit meinem Kind in deinen Armen. Ich schauderte. Ich betete zur Göttin, dass es in Tara viele Häuptlinge mit heiratsfähigen Töchtern gab und dass Eamonn sich für eine von ihnen erwärmen konnte. Es würde bestimmt viele Mädchen geben, die nicht zögern würden, ihm das Bett zu wärmen und ihm einen Erben zu schenken, sobald sie erfuhren, dass er auf der Suche nach einer Frau war.
    ***
    Viele Tage waren vergangen, und der Mond war zu einem dünnen Lichthauch geschrumpft. Wenn ich nach Hause zurückkam, würde ich anfangen müssen zu nähen, denn meine Kleider wurden unangenehm eng über der Brust. Ich saß Tag für Tag bei Niamh, und ihr fiel die Veränderung meines Aussehens nicht auf. Ich konnte es ihr nicht sagen. Wie sollte ich die Worte finden, wenn sie sich in ihrem armen verwirrten Geist schuldig fühlte, weil sie nach drei Monaten noch kein Kind von Fionn empfangen hatte, weil sie angeblich nicht einmal die grundlegendsten Anforderungen einer guten Ehefrau erfüllte? Ich sagte zu ihr, dass es noch früh sei und nicht jede Frau sofort schwanger würde. Außerdem wäre es doch, da sie nun nicht nach Tirconnell zurückkehren würde, sicher besser, wenn sie

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