Der Sohn der Schatten
einmal in deinem Leben auf einen guten Rat hören?«
»Komm mit«, sagte Möwe leise. Er hatte Niamhs Hand ergriffen und führte sie recht sanft über die freie Fläche zum Rand des Marschlands, wo der Nebel sie umschlingen würde.
»Du glaubst, ich wäre ein Söldner ohne Gewissen, ein Mann ohne Gefühle«, flüsterte Bran, und er hob die Hand, um mir über die Wange zu streichen. »Und dennoch wünschst du, dass ich in Sicherheit bin. Das passt nicht zueinander.«
»Du hast eine schlechte Meinung von Frauen und verachtest meine Familie«, erwiderte ich mit Tränen in den Augen, denn seine Berührung löste ein tiefes Sehnen in mir aus, das gleichzeitig Freude und Schmerz war. »Und dennoch riskierst du dein Leben, um hierher zu kommen, nur damit du mir sagen kannst, dass ich nach Hause gehen soll. Du riskierst es abermals, um meine Schwester zu retten. Noch eine Frau. Du kannst nicht gerade behaupten, dass das zusammenpasst.«
Wir sahen uns an, und ich konnte nicht vermeiden, dass mir eine Träne über die Wange lief.
»Nicht. Nicht«, sagte Bran heftig und berührte mit dem Daumen meine Haut, als wollte er die Flut aufhalten.
»Ich danke dir, dass du gekommen bist«, flüsterte ich. »Ich weiß nicht, wie ich ohne dich zurechtgekommen wäre.«
Er sagte nichts, aber als ich ihn wieder ansah, lag keine Schutzmauer mehr vor seinen Augen. Tiefe graue Augen. In ihnen standen die Worte, die er sich nicht zugestehen würde zu sprechen. Ich legte meine Hand auf seine.
Von oben ertönte ein Ruf, und etwas surrte, und dann schoss ein Pfeil über unsere Köpfe hinweg und bohrte sich direkt hinter Möwe in den Sumpf, wo er die stolpernde Niamh in den Schutz des Nebels führte. Möwe fluchte, und Niamh schrie leise auf, und dann schien es, als würde sie vor Angst erstarren und könnte nicht mehr weitergehen.
»Brighid, hilf!«, murmelte ich und raffte meine Röcke, bereit, nach unten zu rennen und sie in Sicherheit zu schubsen, das dumme Mädchen. Brans Stimme hielt mich auf.
»Nein«, sagte er. »Bleib hier, wo sie dich nicht sehen können. Lebe wohl, Liadan.«
Dann drehte er sich um und lief in den Weg ihrer Pfeile, ein deutliches Ziel, um von meiner Schwester abzulenken, und ich blieb stehen und beobachtete ihn, denn ich hatte es versprochen. Ich hatte seine Dienste gekauft, und das bedeutete, dass er die Regeln festlegte. Oben auf dem Wehrgang waren Rufe zu hören, und ich hörte Eamonns Stimme. Es flogen nun mehr Pfeile, und sie waren gut gezielt; aber Bran war rasch und klug, wich aus, drehte sich um und machte eine rasche vulgäre Geste des Trotzes in Richtung seiner Angreifer. Er hätte die Entfernung in der halben Zeit zurücklegen können, aber er sorgte dafür, dass sowohl Möwe als auch die stolpernde, entsetzte Niamh, deren dunkle Kapuze heruntergerutscht war und nun deutlich ihr abgeschnittenes Haar enthüllte, vollständig unter der Nebeldecke verschwunden waren, bevor er ihnen hinterherrannte. Der Nebel verschlang sie, und sie waren weg.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Drohend wurden Befehle gegeben. Männer mit Schwertern und Dolchen, Speeren und Äxten kamen um die Mauern gerannt und blieben am Rand der Mauern stehen, ganz in der Nähe der Stelle, wo ich reglos unterhalb der Felsenbarriere stand. Eamonn war unter ihnen, und er war es, der sich als Erster umdrehte und mich sah. Es war nicht notwendig, meine Züge zu beherrschen – ich nehme an, ich sah bereits überzeugend erschrocken und verängstigt aus.
»Liadan! Der Göttin sei Dank, dass du in Sicherheit bist!« Ich konnte den Zorn in Eamonns Blick sehen, kaum verborgen hinter seiner Erleichterung und Sorge. »Ich dachte schon – was ist geschehen, Liadan? Sag es mir schnell, wir müssen diese Männer sofort verfolgen.«
»Ich … ich …«
»Schon gut, du bist jetzt in Sicherheit. Hol tief Luft und versuch, es mir zu erzählen.« Er packte mich recht fest an den Schultern, und seine Hände teilten mir deutlich seinen Drang mit, zu verfolgen, zu bestrafen, zu töten.
»Niamh … Niamh ist weg«, schluckte ich. »Sie ist weg.«
»Wohin?«
»Ich … ich weiß es nicht.« Bisher hatte ich nicht einmal lügen müssen. Ich konnte nicht sonderlich gut lügen. Und Eamonn kannte mich besser als die meisten. Ich musste hoffen, dass sein Zorn ihn gegenüber allen Löchern in meiner Geschichte blind machte. Eine Geschichte, die nun ein wenig anders erzählt werden musste, da nicht nur Niamh, sondern auch Möwe und Bran deutlich
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