Der Sohn der Schatten
erkennst du das. In der Zukunft deines Sohnes gibt es keinen Platz für diesen Mann.«
»Wie kannst du das sagen? Er ist sein Vater.«
»Er hat seinen Zweck erfüllt. Ich bin sicher, dass Conor das sagen würde.«
Darauf konnte ich nichts erwidern. Ich barst beinahe vor Zorn über diese Ungerechtigkeit, war aber dennoch gezwungen, die schreckliche Weisheit seiner Worte zu erkennen.
»Das ist es, was das Feenvolk mir gesagt hat. Aber was meinst du?«
»Ah. Nur, dass es zu einem Punkt kommen wird, an dem du eine Entscheidung treffen musst. Und es wird deine eigene Entscheidung sein. Halte mich nicht für herzlos, Liadan. Ich sehe mehr, als du denkst. Ich sehe die Verbindung zwischen dir und diesem Mann. Ich sehe, dass er dein Gefährte ist. Wie kannst du eine Wahl treffen, ohne einen Verlust zu erleiden, der dir das Herz zerreißt?«
***
Mutter verschwendete in ihrer letzten Nacht keine Zeit mit Schlafen. Stattdessen bat sie Liam, die Männer und Frauen des Haushalts zu ihr zu bringen, so dass sie ihnen danken und sich verabschieden konnte. Viele Tränen flossen, viele kleine Primelsträußchen oder einzelne Narzissen, mutig in Weiß und Gold, wurden zu ihren Füßen oder an ihren Kissen niedergelegt. Sie ließ sich in eine Kammer im Erdgeschoss bringen, und rings um die Mauern brannten viele Kerzen, so dass der Raum von warmem Licht erfüllt war. Sie lag klein und reglos auf ihrem Strohsack und fand für jeden Besucher ein freundliches Wort.
Sie musste beträchtliche Schmerzen haben. Sowohl Janis als auch ich wussten, was Sorcha in diesen letzten Wochen hatte einnehmen müssen, um nicht laut zu schreien, während der Krebs sich tiefer und tiefer in ihre Eingeweide fraß. Jetzt wollte sie wach sein, zuhören können, und daher hatte sie nichts genommen. Sie war wirklich eine starke Frau, und sie verbarg ihre Krämpfe so gut, dass wenige merkten, wie sehr sie litt. Mein Vater wusste es. Sein Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske geworden, außer, wenn er sie direkt ansah; er sagte nichts, weder zu mir noch zu Liam oder irgendjemand anderem außer ihr, wenn er es nicht musste. Ich wusste, er wünschte sich, dass wir alle weggingen und die beiden allein ließen. Aber er folgte ihren Wünschen.
Endlich war auch dieser Abschied vorüber, und der Haushalt schlief. Ich saß mit Johnny an dem kleinen Feuer, mein Vater auf einem Hocker am Bett, die langen Beine ungelenk zur Seite gebogen. Er wischte meiner Mutter das Gesicht mit einem feuchten Tuch ab. Sie hatte die Augen geschlossen; man hätte glauben können, dass sie schliefe, wenn nicht hin und wieder ihre Hand gezuckt hätte, wenn der Schmerz zuschlug.
Du könntest es ihnen jetzt sagen. Wenn du bereit bist.
Ich warf einen Blick zu Finbar, der reglos dastand, die rechte Hand flach auf der Mauer neben dem Fenster mit dem Rücken zu mir, während er in den mondbeleuchteten Garten hinausschaute. Es bestand kein Zweifel an dem, was er meinte.
Ich bin bereit. Es würde keine bessere Zeit kommen als diese.
»Ist Sean schon zu Hause?«, flüsterte meine Mutter.
»Ich sehe nach, ob ein Bote gekommen ist«, sagte Liam leise. »Kommt, Brüder, wir sollten diese kleine Familie eine Weile allein lassen.«
Sie hatten miteinander an der Tür gestanden, um die Leute hinein- und hinauszuführen. Nun ging Liam und nahm Conor und Padraic mit sich, aber Finbar blieb. Für ihn gab es keine sichere, abgeschlossene Kammer und kein Bett mit Decken. Für ihn gab es nicht das kurzfristige Vergessen dank starken Biers. Ich hatte nicht gesehen, dass er auch nur einen Krümel gegessen und einen Tropfen getrunken hatte, seit er nach Hause zurückgekehrt war.
»Mutter. Vater. Ich habe euch etwas zu sagen.«
Sorcha öffnete die Augen, und es gelang ihr ein dünnes Lächeln. »Das ist gut, Tochter. Lass mich … lass mich …«
Sie war außer Atem, aber ich wusste, was sie wollte. Ich machte Platz für Johnny unter ihrer Decke und legte ihn neben sie. Mein Vater half ihr, eine Hand um den warmen Körper des Kindes zu legen. Johnnys Augen waren offen; die grauen Augen seines Vaters. Er wuchs rasch, und ich konnte sehen, wie er sich umsah und versuchte, die Schatten und Muster in dem kerzenbeleuchteten Raum zu begreifen. Finbar, immer noch am Fenster, regte sich nicht. Ich wollte mich nicht hinsetzen. Ich stand neben dem Bett, die Hände fest gefaltet.
»Ich werde euch nicht beleidigen, indem ich um euer Vertrauen bitte«, begann ich. »Dazu ist zu wenig Zeit. Ihr habt gesagt, ihr
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