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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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seinem Gewicht, hielten aber fest. Ich folgte ihm, und Johnny gab ein protestierendes Geräusch von sich. Ich begann, ihm vorzusingen – leise, um Möwe nicht abzulenken, der sich immer noch sehr vorsichtig bewegen musste, denn wir hatten noch einen beträchtlichen Weg vor uns und er musste seine Last stützen und geradeaus gehen. Ich sang das alte Wiegenlied, ein Lied so alt, dass sich niemand erinnern konnte, was die Worte bedeuteten. Vielleicht war diese Sprache irgendwo noch bekannt, vielleicht unter den Stehenden Steinen mit ihren rätselhaften Zeichen, die schweigend zugesehen hatten, als ich bei Bran im Regen gelegen hatte und dieses Kind gezeugt worden war. Vielleicht in den Herzen der ältesten Eichen, die an den tiefen, geheimen Orten des Waldes von Sevenwaters wuchsen. Ich sang, Johnny war still, und wir bewegten uns stetig weiter nach Norden. Das Licht flatterte von einer Seite zur anderen, manchmal hinter uns, manchmal vor uns her, und hielt stetig Schritt. Es war tatsächlich Fiacha. Einmal schaute ich zurück, denn ich konnte die Stimmen von Eamonns Männern immer noch in der Ferne hören. Und ich sah, dass hinter uns, wo wir über einen schmalen, sicheren Weg von verbundenen Ranken gegangen waren, es nun keinen Weg mehr gab, nur eine Reihe von Blasen auf der Schlammoberfläche. Und mit der Zeit verklangen die Stimmen hinter uns, die Lichter verschwanden, und wir waren mit unserem seltsamen Führer allein in der Nacht.
    Es war tatsächlich Hilfe gekommen, als wir in tiefster Not waren, als unsere eigene Kraft so gut wie erschöpft war und uns keine Lösungen mehr einfielen. Ich war müde bis auf die Knochen, und mein Kopf pochte, aber nun gestattete ich mir, darüber nachzudenken, was wir tun mussten, wenn wir trockenes Land erreichten. Möwe hatte gesagt, Bran würde nicht mehr aufwachen können. Er sagte, der Häuptling würde noch um das Messer bitten, wenn er könnte. Wenn ich ihm dies verweigerte, musste ich einen guten Grund haben. Ich hatte mich bei Evan geirrt und sein Leiden nur verlängert. Diesmal musste ich ihn wirklich heilen. Ich musste ihn zurückbringen.
    »Andere Seite«, sagte Möwe vor mir. Der krächzende, flatternde Lichtball, der Fiacha war, befand sich vor ihm, und Möwes Gestalt hob sich als Umriss gegen das Licht ab; vornübergebeugt, seine armen Hände zeigten immer noch hilflos nach oben, und der bewusstlose Mann lag sicher auf den breiten Schultern seines Freundes. Diese Männer hatten solche Kraft, solches Durchhaltevermögen, dass es kein Wunder war, dass die einfachen Leute sie für etwas Übermenschliches hielten. Sie teilten eine Bruderschaft, eine Treue, die bedeutete, dass das eigene Leben wenig zählte, wenn die anderen in Schwierigkeiten waren. Und das alles besaßen sie, ohne es je zuzugeben, selbst gegenüber sich selbst.
    »Ja«, erwiderte ich. »Wir müssen weitermachen, bis wir die andere Seite erreichen. Und hoffen, dass dort Hilfe wartet, denn Eamonns Männer können immer noch die Straße benutzen und tun das vielleicht gerade.«
    »Nein«, sagte Möwe. »Andere Seite. Sieh.«
    Verblüfft blickte ich auf und nach vorn und spürte, wie sich meine trockenen Lippen zu einem Grinsen verzogen und mir Tränen in die Augen traten. Keine zehn Schritte vor uns ging es einen Hang hinauf, und auf der Hügelkuppe wuchsen ein paar struppige Büsche und jemand stand dort mit einer Laterne. Wir hatten die andere Seite erreicht. Wir hatten es geschafft.

KAPITEL 15
    Es war schwierig, noch weiterhin sorgfältig über den schmalen, geheimnisvollen Weg zu laufen, schwierig, sich nicht der plötzlichen Flut der Erleichterung zu ergeben, die durch Körper und Geist brauste und bewirkte, dass man lachend vorwärts rennen wollte. Aber Möwe marschierte stetig weiter, jeder Schritt sorgfältig berechnet, und ich folgte, Schritt um Schritt, denn die Lasten, die wir trugen, waren kostbar, und wir durften sie nicht loslassen, bis wir wirklich sicher waren, dass alles in Ordnung war.
    Die Gestalt mit der Laterne stand reglos. Ein hoch gewachsener Mann mit schwarzem Umhang und schwarzer Kapuze. Nach dem, was Möwe gesagt hatte, hatte ich gehofft, dass einer von ihnen in der Nähe sein würde: Otter oder Schlange oder Spinne, und wenn wir Glück hatten, mehrere von ihnen, und Pferde. Langsam gingen wir über den letzten Rest des Sumpfes, und ich konnte hören, wie hinter mir der gewebte Pfad wieder in den Schlamm sank. Niemand würde ihn je wieder benutzen. Schließlich sah ich, wie

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