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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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rechts bog, vorwärts oder aufrecht, um sicher stehen zu können. Wenn es erst dunkel war, würde er den Weg nicht mehr finden können. Dann wäre es gleich, wie viel Kraft er hatte und wie gut er sich auskannte.
    Als das Licht nachließ, begann ich, ein scharfes Stechen in meinen Händen, meinen Fußgelenken, an Gesicht und Hals zu spüren. Ich hörte hohes Sirren, das kam und ging. Schwärme stechender Insekten stiegen aus dem Sumpfland auf, zweifellos überglücklich über eine so große und saftige Mahlzeit. Johnny begann plötzlich zu schreien, ein scharfes, verzweifeltes Klagen. Ich konnte nichts tun, um ihm zu helfen, und seine leise, verängstigte Stimme klang weither über die Marsch. In der Ferne glaubte ich, einen anderen Schrei zu hören. Hohl, unirdisch, halb ein Schrei, halb Gesang. Vielleicht sagte diese Stimme einen weiteren Tod voraus, wie mir einer der Bewaffneten auf der Mauer einmal gesagt hatte. Ich mahnte mich, nicht dumm zu sein, aber das Geräusch war immer noch da, klang in meinem Kopf, vibrierte in der stickigen Sumpfluft, heulte im purpurfarbenen Dämmerungslicht rings um mich her. Der Klageschrei der Todesfee. Johnny protestierte jetzt lauthals. Es war das erste Mal in seinem kurzen Leben, dass er geschrien hatte und niemand direkt gekommen war, um ihm zu bringen, was immer er brauchte: trockene Windeln, schützende Arme, freundliche Worte, eine Lotion aus Kamille und Wermut, die die kleinen, summenden Geschöpfe fern hielt, die ihm wehtaten und wieder wehtaten und nicht aufhören wollten.
    »Schon gut, Johnny«, murmelte ich, während ich auf einem lächerlich kleinen Fleck trockenen Bodens um Gleichgewicht rang. Möwe erwartete doch sicher nicht, dass ich dort hinübersprang? Das war zu weit weg, es war einfach ungerecht. Ich konnte nicht so weit springen, nicht mit dem Kind auf dem Rücken. Wenn Johnny doch nur aufhören würde zu weinen; wenn er nur aufhören würde … Ich sah mich im Dämmerlicht um. Auf der anderen Seite der breiten Fläche schwarzen Schlamms war Möwe stehen geblieben. Er stand reglos, und ich spürte, dass er die Augen geschlossen hatte. Er sagte etwas, aber ich konnte die Worte nicht verstehen. Es war zu weit entfernt. Ich würde im Schlamm landen, und dann würde der Sumpf mich und mein Kind verschlingen und es wäre vorüber. Meine Kehle war trocken, mein Körper klamm vor Schweiß. Mein Kopf pochte. Ich kann es nicht  … ich kann es nicht  … dann sprach Möwe wieder, und ich hörte ihn.
    »Liadan? Noch da?«
    »Ich bin hier. Aber ich glaube nicht, dass …«
    »Brauche Hilfe. Hände. Kann nicht mehr halten.«
    Dana, gib mir Kraft! Er darf nicht loslassen, er darf einfach nicht. Wir waren doch sicher nicht für nichts so weit gekommen.
    »Ich komme«, rief ich und sprang, zwang meinen Körper über die unmöglich breite Fläche. Ich landete kurz vor der größeren Insel trockenen Bodens, auf der Möwe stand. Meine Füße sanken in den weichen Schlamm; ich warf mich vorwärts auf den grasigen Boden. Ich packte fest zu, als ich die Umklammerung des Sumpfes an meinen Beinen spürte, die mich nach unten zog. Johnny schluchzte schaudernd, erzählte mir seine kleine Geschichte davon, dass die Welt plötzlich so anders war und er von mir wollte, dass ich es besser machte, und zwar bitte gleich. Ich verzog vor Anstrengung das Gesicht, als ich mich an die nassen Blätter und Halme klammerte, und dann ließ mich der Schlamm mit einem entschieden unangenehmen Geräusch los. Ich kroch vom Rand weg und kam neben Möwe auf die Beine. Es war beinahe dunkel; ich konnte kaum mehr sein Gesicht erkennen.
    »Stütze ihn ab«, flüsterte er, und seine Stimme kündete von einem Schmerz, den ich in dieser Dunkelheit in seinem Gesicht nicht mehr lesen konnte. »Nimm mir das Gewicht ab. Nicht lange. Ausruhen. Hände.«
    Ich stellte mich hinter ihn und griff nach oben, um meine Hände gegen Brans schlaffe Gestalt zu stützen. Dann versuchte Möwe, seine Arme zu senken, wo er sie um den Freund geschlungen hatte, um ihn sicher auf seinen Schultern zu halten, aber der Krampf war so schlimm, dass er sie kaum bewegen konnte. Immer noch stoisch, verbiss er sich einen Schmerzensschrei, als er die bandagierten Hände langsam senkte. Nun, da wir still standen, erwartete Johnny offenbar eine schnelle Reaktion auf seinen Protest, und seine Stimme wurde lauter und drängender.
    Möwe taumelte seitwärts, dann fing er sich wieder. Ich konnte nichts anderes tun, als dafür zu sorgen, dass Bran

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