Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Hanna.«
»Wir könnten uns die Arbeit teilen«, schlug Hanna vor. »Wir
übernehmen den Tankwart und du gehst ins Krankenhaus, das ist nicht so mein
Ding.«
Trevisan überlegte einen Augenblick. »Ihr müsst ihn aber nach
dem genauen Fahrzeugtyp fragen, und vielleicht kann er eine Beschreibung
abgeben … und das Bier … Sie hatten Bier gekauft …«
Hanna lächelte. »Ich weiß, was ich zu fragen habe«, antwortete
sie mit ruhiger Stimme. »Kümmere du dich um den Reporter, den Rest machen wir
schon, wir wissen jetzt ja, wie es geht.«
Schuldbewusst schlug Trevisan die Augen nieder. »Ich meinte ja
nur«, knurrte er.
*
Hanna und Lisa waren bereits losgefahren und Trevisan stand
noch immer in seinem Büro. Er überflog den Bericht über die Entführung des
Journalisten, den Sobeck ihm zukommen lassen hatte, damit er nicht
unvorbereitet in diese Vernehmung ging, sondern gezielte Fragen stellen konnte.
Wer weiß, dachte er sich, vielleicht gibt es ja doch ein Detail, eine winzige
Spur, einen minimalen Hinweis, der uns weiterbringt. Noch bevor er sich die
Schlüssel des Dienstwagens gegriffen hatte, klingelte abermals das Telefon.
Margot Martinson war am Apparat. »Ich bin so weit und würde
jetzt gerne mit dir über Svens Angaben sprechen.«
Trevisan biss sich auf die Lippen. »Ich wollte gerade ins
Krankenhaus. Der Journalist, von dem ich dir erzählte, ist vernehmungsfähig.«
»Mein Zug fährt zehn nach zwölf und ich habe nicht vor, ihn zu
verpassen. Heute Abend bin ich nämlich eingeladen.«
Trevisan fuhr sich über die Stirn. »Ich warte auf dich. Oder
soll ich dich abholen?«
»Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«
Siebzehn Minuten später saßen sich Trevisan und Margot Martinson
im Konferenzzimmer gegenüber. Vor Margot lag ein gelber Aktenordner, in dem sie
blätterte.
»Krankheitsbild, weiterer Verlauf, Persönlichkeitsanalyse,
Analyse des damaligen und jetzigen Umfeldes, psychisches Strukturmodell,
Assoziationinterpretation, Metaphorische Deutungshypothese,
hier ist alles drinnen, was du brauchst«, erklärte sie.
Trevisan wies auf das gelbe Ungetüm.
»Dreißig Seiten oder mehr?«
»Zweiunddreißig«, verkündete Margot stolz.
»Auch etwas dabei, was ich verstehen könnte?«
»Wenn du deine weiteren Ermittlungen auf
die Aussage des Jungen stützt, wirst du den Ordner brauchen, aber da ich dich
kenne, habe ich am Ende noch einmal alles zusammengefasst und den wissenschaftlichen
Schnickschnack außer vor gelassen. In Hamburg arbeiten deine Kollegen damit,
wenn sie vor Gericht ein psychiatrisches Gutachten brauchen.«
Trevisan lächelte. »Okay, was kannst du
mir über den Jungen sagen, was weiß er?«
Margot räusperte sich und schlug die
letzten Seiten des Ordners auf. »Gut, dann hier der Klartext. Zuerst mal sieht
er deine Jungs aus dem Ort eher als lästige Störenfriede und nicht, wie
angenommen, als Bedrohung. Dieser dunkle und mystische Schatten in seinen
Bildern ist die eigentliche Bedrohung, wobei der Schatten nicht allgegenwärtig
ist. Sven fühlt sich auch nicht direkt bedroht, sondern dieser Teufel, wie du
ihn nanntest, ich möchte ihn in archetypischer Umschreibung als dunkler
Schatten bezeichnen, bedroht die Beziehung zwischen ihm und dem Mädchen, seiner
Begleiterin, bei der es sich zweifellos um seine damalige Bezugsperson Sarah
handelt. Zwischen ihm und ihr besteht eine ganz besondere und innige Beziehung
und der Schatten ist in der Lage, diese Beziehung zu zerstören.«
Trevisan zog die Stirne kraus. »Das
verstehe ich nicht, was meinst du mit allgegenwärtig?«
»Du glaubst doch, dass der Schatten einer
der Jungs aus dem Dorf ist, vor dem Sven Angst hat.«
Trevisan nickte. »Das nahm ich einmal an.«
»Aber das ist falsch«, erklärte Margot.
»Aus den Bildern geht das nicht klar hervor, aber als ich mit ihm sprach, wurde
es verständlich. Für ihn sind die Jungs der Clique nicht mehr als dumme,
ungezogene Bengel, die er meidet, die er aber nicht als Bedrohung sieht. Nicht
für ihn und auch für das Mädchen nicht. Aber der Schatten, der ist da und es
ist meiner Einschätzung nach eine reale Person. Eine Person, die nicht immer
präsent ist, die auftaucht und verschwindet. Ich habe ihn danach gefragt, aber
das blockt er ab. Das bedeutet, die Angst steckt tief in ihm und er fürchtet
sich auch heute noch vor ihm. Und er fürchtet um Sarah, die er sehr vermisst.«
»Ich kapiere es trotzdem nicht«, wandte
Trevisan ein. »Eine reale Person … die gelegentlich
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