Der Sohn des Apothekers (German Edition)
neben einem
unwegsamen Waldweg, den man nur mit einem Schlepper befahren kann und wo sie
ein Landwirt fand.«
»Das ist doch einfach. Es waren zwei Täter. Einer bleibt beim
Wagen und bewacht die Opfer und der andere bringt die Räder weg.«
»Wie oft bist du schon Rad gefahren?«, fragte Trevisan.
»Als Kind sehr oft.«
»Es ist nicht leicht für eine einzelne Person, zwei Räder über
unwegsames Gelände zu schieben«, antwortete Trevisan. »Es war noch nicht dunkel
und ganz in der Nähe ist ein Campingplatz, der damals gut belegt war. Das ist
ein hohes Risiko, wenn man jemanden entführen will.«
»Woher weißt du, dass es hell gewesen ist?«, fragte Lisa,
während Trevisan die graue Stellwand zurechtrückte und darauf eine
topographische Karte von der Gegend um den Bannsee hängte.
»Der Bauer sagte aus, dass er
die Räder bei Anbruch der Dämmerung fand«, erklärte Trevisan. »Gestartet sind
die Mädchen an diesem Tag gegen elf Uhr in Neustadt, das liegt hier.« Er zeigte
auf die Karte. »Knapp acht Kilometer, das schafft man innerhalb einer halben
Stunde. Also gehen wir davon aus, dass sie etwa um 11.30 Uhr in der Nähe von
Tennweide waren. Nienburg war ihr nächstes Etappenziel, bis dahin braucht man
mit einem Rad etwa drei Stunden. Sie hatten für alle ihre Unterkünfte Abendessen
gegen sieben Uhr vereinbart, so war es in Hagenburg im Hotel Schneevoigt und auch in Neustadt im Maro . Auch für den Posthof galt diese
Vereinbarung, aber dort sind sie nie angekommen.«
»Wahrscheinlich waren sie am Steinhuder Meer baden, schließlich
war das eine Vergnügungstour«, warf Lisa ein.
»Das glaube ich auch. Sie hatten Badeanzüge dabei und eine
Bedienstete vom Maro in Neustadt hat ausgesagt, dass sie nach einem
Trockenraum gefragt haben. Ich glaube sogar, dass sie darüber die Zeit
vergessen hatten und deshalb über die Waldwege in Richtung Nienburg fuhren.«
»Wie kommst du zu der Annahme?«
»Man hätte auch über Tennweide und Mardorf nach Nienburg
fahren können. Die Strecke ist gut fünf Kilometer weiter. Aber sie fuhren durch
den Wald, obwohl man sich dort auch gut verirren kann. Ich denke, sie hatten es
eilig, nach Nienburg zu kommen, deswegen wählten sie die kürzere Route. Das
könnte bedeuten, dass sie zwischen 16 und 18 Uhr auf ihre Entführer trafen.«
»Das mag schon sein, aber wie bringt uns das weiter?«, fragte
Lisa mit verwirrtem Blick.
Trevisan lächelte. »Die Tatzeit einzugrenzen, ist sehr wichtig.
Denn wenn wir einen Verdächtigen haben, dann ist so ein Zeitfenster für die
weiteren Ermittlungen von Bedeutung.«
Lisa schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ja,
sicher, das Alibi.«
»Das Alibi!«, bestätigte Trevisan und griff nach einem
Edding-Stift. 16-18 Uhr schrieb er neben die Karte auf die Tafel.
Lisa wandte sich wieder dem Computer zu.
»Wie weit bist du?«
»Es fehlen noch 264 Spuren«, antwortete sie.
»Heute Mittag ist Zeit dazu. Wir treffen uns in einer halben
Stunde mit einem Pensionär und ich hätte dich gerne dabei.«
Lisa sprang von ihrem Stuhl auf. »Gerne. Ich war noch nie im
Außendienst.«
*
Justin Belfort hatte lange geschlafen und beinahe das Frühstück
verpasst. Nach mehren Tassen Kaffee, Buttertoast und Marmelade verschwand er
wieder auf sein Zimmer. Er überspielte die Fotos des gestrigen Tages auf seinen
Laptop und fasste stichwortartig die Aussagen von Bauer Tjaden in einem Script
zusammen. Anschließend suchte er in seinem Notizbuch nach der Adresse der Klosterapotheke in Mardorf, die Rudolf Thiele leitete. Er hatte sich vorgenommen, heute das
Gespräch mit dem Mann zu suchen und wusste, dass es nicht leicht werden würde.
Svens Vater hatte bislang alle Gespräche mit Journalisten abgeblockt. Justin
hatte sich eine Strategie zurechtgelegt, in der er Sven die Opferrolle zudachte
und das damalige Fehlverhalten der Polizei in den Vordergrund rückte. Es musste
ihm einfach gelingen, den Apotheker zu überzeugen, denn ohne dessen
Einverständnis würde er nicht einmal in Svens Nähe kommen. Also bereitete er
sich akribisch auf das Gespräch mit Rudolf Thiele vor und ging noch einmal alle
Fakten durch, die ihm hilfreich erschienen.
Kurz nach elf schnappte er sich seinen Fotoapparat und das
kleine Aufnahmegerät und gab an der Rezeption seinen Schlüssel ab. Diesmal stand
eine Angestellte hinter dem Empfangspult, der er bislang noch nicht begegnet
war.
»Einen schönen Tag«, rief ihm die junge Frau hinterher, als er
den Klosterkrug
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