Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Ortsplan, den er
sich ausgedruckt und entsprechend markiert hatte. Vor dem Mehrfamilienhaus
parkte er am Straßenrand. Die Reubolds wohnten in dritten Stock. Einen Aufzug
gab es nicht, so dass Trevisan erst einmal durchatmete, als er an der
Wohnungstür ankam. Er klingelte und wartete geduldig, bis ein Mann öffnete,
unrasiert und in Jogginghose und Unterhemd. Die nackenlangen, grauen und
ungepflegten Haare hingen ihm wirr ins Gesicht.
»Robert Reubold?«, fragte Trevisan.
»Ja, das bin ich.«
Trevisan schätzte ihn auf Anfang fünfzig. »Ich bin Martin
Trevisan vom Landeskriminalamt wir haben miteinander telefoniert.«
Robert Reubold nickte nur, ließ die Wohnungstür offen und
verschwand im dunklen Gang. Trevisan folgte ihm. Schuhe standen kreuz und quer
und Kleidungsstücke lagen herum. Staub hatte sich auf der kleinen Kommode abgesetzt.
Trevisan folgte dem Mann in die Küche, wo sich schmutziges Geschirr auf der
Spüle türmte. Robert Reubold zeigte auf einen Stuhl und ließ sich mit einem
Seufzer auf der Eckbank nieder. Zwei leere Bierflaschen standen auf dem Tisch.
»Ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen«, sagte er knurrig,
als Trevisan den Raum gemustert und eine Armada von weiteren leeren
Bierflaschen hinter der Tür entdeckt hatte.
»Ist Ihre Frau ebenfalls hier?«, fragte Trevisan.
Reubold schüttelte den Kopf. »Als sie von Tanja erfuhr, ist sie
sofort nach Flensburg gefahren.«
Trevisan nickte. »Das kann ich verstehen, aber Tanja liegt im
Koma. Die Ärzte meinen, es kann Wochen, sogar Monate dauern, bis sie wieder zu
sich kommt.« Den Rest verschwieg Trevisan. Es war durchaus möglich, dass Tanja
überhaupt nicht mehr aufwachen würde. Aber er war nicht hierher gekommen, um
Hoffnungen zu zerstören.
»Das ist meiner Frau egal, sie lässt sich nicht davon abbringen.
Sie tut, was sie will.«
»Und was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass Tanja
aufgetaucht ist?«
Der Mann fuhr sich über
seine fettigen Haare. »Ich glaube nicht, dass es Tanja ist, ich glaube, sie ist
genauso tot wie meine Meli. Wenn ich dieses Schwein erwische, dann schlage ich
es mit eigenen Händen tot.« Robert Reubold biss sich auf die Lippen und
versuchte, seine starke Erregung zu unterdrücken.
»Gab es denn seit ihrem Verschwinden irgendwelche ungewöhnlichen
Vorfälle? Anrufe, ohne dass sich jemand meldete, irgendetwas dieser Art?«
Reubold zog die Nase hoch. »Nachdem sie meine Meli geholt
hatten, gab es ständig Anrufe, diese Presseheinis ließen uns keinen Tag in Ruhe
und auch die Polizisten. Wissen Sie, an diesem Tag habe ich aufgehört zu leben.
Und bei Elsa ist auch alles kaputtgegangen.«
»Elsa ist Ihre Frau?«
»Ja, wir sind verheiratet, aber sie ist nicht mehr meine Frau.
Sie ist nur noch hier, weil ihr die Energie fehlt, die Koffer zu packen. Seit
dem Tag, als Meli verschwand, ist alles zwischen uns kaputt. Da ist nur noch …
Leere.« Robert Reubold zeigte auf die Bierflaschen. »Das ist das Einzige, was
mir geblieben ist.«
»Arbeiten Sie noch im Verwaltungsamt?«, fragte Trevisan, um die
Situation ein klein wenig zu entspannen, doch offenbar war dies die falsche
Frage gewesen. Robert Reubold legte den Kopf auf seine auf dem Tisch
verschränkten Arme und begann hemmungslos zu schluchzen.
»Zweimal war ich schon auf Entzug«, stammelte er. »Ein drittes
Mal wird es nicht geben. Sie streben die Verrentung an, ich bin seit über zwei
Jahren arbeitsunfähig, aber danach fragt kein Mensch. Diese Schweine haben mir
meine Tochter gestohlen und mein ganzes Leben zerstört.«
Trevisan schluckte und schwieg, bis sich Robert Reubold langsam
beruhigt hatte. Schließlich wischte sich der Mann mit dem Unterarm die Tränen
weg und schaute auf. »Weshalb sind Sie eigentlich hier?«
»Ich wollte mit Ihnen sprechen und mir ein Bild machen,
außerdem wollte ich Sie zu Tanja befragen. Ihre Eltern sind leider bei einem
Unfall …«
»Ich weiß, sie haben es besser gemacht als Elsa und ich. Sie
haben einen Schlussstrich gezogen.«
»Sie glauben, sie haben sich umgebracht?«
»Ich weiß es«, antwortete Robert Reubold trocken. »Meli und
Tanja kannten sich seit der fünften Klasse, sie sind zusammen aufgewachsen. Sie
wohnte ein paar Blocks weiter. Sie haben alles gemeinsam gemacht, sie sagten
sogar, dass sie gemeinsam Medizin studieren wollten und dann kam diese Radtour,
diese gottverdammte Radtour. Ich war von Anfang an dagegen, aber wenn sich die
Mädels etwas in den Kopf gesetzt hatten … Ich hätte sie
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