Der Sohn des Azteken
Wohlstand. Sie waren mit diesem Leben verständlicherweise zufrieden. Und sie übten tatsächlich die alten Gewerbe der Purémpecha aus. Ein Dorf stellte gehämmerte Kupferwaren her: Teller, Platten und Krüge in alten Formen mit den unverkennbaren runden Vertiefungen in der Oberfläche. Ein anderes Dorf produzierte eine Art Keramik, wie man sie sonst nirgendwo sah. Die Gegenstände erhielten eine schimmernde schwarze Oberfläche, indem man dem Ton pulverisiertes Blei beimischte. Ein drittes Dorf hatte sich auf die seit eh und je berühmten Purémpe-Lackarbeiten spezialisiert: Tabletts, Tische und große faltbare Wandschirme schimmerten in tiefem, glänzendem Schwarz mit Einlegearbeiten in Gold und vielen leuchtenden Farben. In einem anderen Dorf wurden aus den Binsen des Sees Schlafmatten und Körbe geflochten. Ich muß zugeben, sie waren sogar noch schöner als die von Citláli. Ein Dorf produzierte feinen Schmuck aus Silberdraht, ein anderes Schmuck aus Bernstein und ein drittes Schmuck aus dem Perlmutt von Muschelschalen. Zwischen den einzelnen Dörfern und in ihrer Umgebung lagen die ordentlich bestellten Felder, auf denen das neue Zuckerrohr und ein Süßgras mit dem Namen sorgo neben den vertrauteren Bohnen und dem altbekannten Mais wuchsen. Die Felder brachten alle weit mehr Erträge als früher, denn die Siedler wußten die Vorteile der von den Spaniern mitgebrachten Werkzeuge zu nutzen und beherzigten die neuen Anbaumethoden.
Man konnte nicht leugnen, daß die Mexica-Siedler großen Gewinn aus dem Zusammenleben mit den Spaniern zogen.
Ich fragte mich: Wiegen die Erfolge dieses erfreulichen Utopía das Elend und die Erniedrigungen auf, welche andere Mexica in den grauenvollen Obrajes erdulden? Nein, denn dort litten viele tausend Menschen meines Volkes. Bestimmt gab es andere Weiße wie Pater Vasco de Quiroga, die unter dem Wort ›Christlichkeit‹ in der Tat ›liebevolle Anteilnahme und Freundlichkeit‹ verstanden. Doch diese Menschen waren eine verschwindend kleine Minderheit im Vergleich zu den bösartigen, raffgierigen, betrügerischen und hartherzigen Spaniern, die sich ebenfalls Christen und sogar Priester nannten. Ich gebe zu, damals verhielt ich mich so falsch und betrügerisch wie die Weißen selbst. Ich bereiste die Dörfer von Pater Vascos Utopía nicht nur, um mir ein Urteil darüber zu bilden und sie zu bewundern. Ich suchte nach Bewohnern, die sich möglicherweise an meinem geplanten Aufstand beteiligen würden. Ich zeigte jedem Dorfschmied meine Arkebuse und erkundigte mich, ob er sie nachbauen könne. Sie lobten und bewunderten den Donnerstock, erklärten aber übereinstimmend, selbst wenn sie gewillt wären, die Waffe nachzubauen, so besäßen sie doch nicht die nötigen Werkzeuge. Die Antworten, die ich von allen Männern erhielt, wenn ich sie fragte, ob einer von ihnen bereit sei, sich mir bei einem Aufstand gegen die spanischen Unterdrücker anzuschließen, lassen sich in Erasmo Mártirs Reaktion zusammenfassen, dem ich diese Frage als letztem stellte. »Nein«, erklärte er ohne langes Nachdenken. Wir saßen zusammen auf der Bank vor seiner Haustür. Diesmal arbeitete er nicht an einer Gitarre. »Hältst du mich für völlig tlahuéle? Ich gehöre zu den glücklichen Mexica, die genug zu essen und ein sicheres Heim haben. Mich kann kein Herr mißhandeln. Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Ich bin sogar wohlhabend, und meine Familie hat eine vielversprechende Zukunft.« Noch einer, der alle Männlichkeit verloren hat, dachte ich bitter. Lamiendo el culo del patrón. Ich fragte: »Ist das alles, was du dir vom Leben wünschst, Erasmo?«
»Alles?! Bist du tlahuéle, Juan Británico? Was kann sich ein Mann heutzutage in dieser Welt mehr wünschen?«
»Du sagst heutzutage. Aber es hat eine Zeit gegeben, in der die Mexica auch ihren Stolz hatten.«
»Nur die, die es sich leisten konnten. Die Tlátoantin-Herrscher und jene mit dem adligen -tzin hinter ihrem Namen und die oberen Pipiltin-Klassen, die Cuáchitin-Ritter und so weiter. Sie waren sogar so stolz, daß sie keinen Gedanken an das gemeine Volk, an uns Macehualtin, verschwendeten. Wir mußten für sie arbeiten, sie ernähren und bedienen. Sie nahmen uns nur zur Kenntnis, wenn sie uns auf dem Schlachtfeld brauchten.«
Ich sagte: »Die meisten Cuáchitin, von denen du sprichst, waren Macehualtin, die aus der Klasse der einfachen Leute in den Ritterstand aufgestiegen sind, weil sie gegen die Feinde der Mexica gekämpft
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