Der Sohn des Azteken
von den Yaki gehört.«
Ich erzählte ihm, was ich wußte. »Sie leben im fernsten nordwestlichen Winkel der EINEN WELT in den Wäldern und auf den Bergen, weit hinter der Wüste, die unser Volk Totes-Knochen-Land nennt. Die Yaki stehen im Ruf, blutrünstige Wilde zu sein, die jeden anderen Menschen, selbst ihre engsten Verwandten hassen. Jetzt, nachdem ich gestern diese Yaki-Frau getroffen habe, fange ich an, es zu glauben. Wenn die Frauen alle so sind wie sie, müssen die Männer erst recht wahre Ungeheuer sein.«
Ich hatte Santa Cruz Pátzcuaro noch einmal aufgesucht, weil ich Vasco de Quiroga mochte und bewunderte. Ohne die kriegerischen Neigungen der Yaki-Frau, die sie am Vortag so deutlich zu erkennen gegeben hatte, ebenso wie jene, die ihr in Canaútlis alten Geschichten zugeschrieben wurden, zu erwähnen, berichtete ich dem Pater, was ich von ihren bösen Taten und Absichten wußte.
»Es geschah in einer Zeit, an die man sich nicht mehr erinnern und die man sich deshalb auch nicht mehr vorstellen kann«, sagte ich. »Doch was damals geschah, hat unser Volk niemals vergessen. Es wurde von einem alten Geschichtserinnerer an den nächsten weitergegeben. Es ist die Geschichte der geheimnisvollen Yaki-Frau, die sich in unser ruhiges und friedliches Aztlan einschlich, die Verehrung eines fremden Gottes predigte und dadurch Bruder gegen Bruder aufbrachte.«
»Hmm«, murmelte der Pater nachdenklich. »Lilith kommt zu Kain und Abel.«
»Wie bitte?« sagte ich. »Nichts. Sprich weiter, mein Sohn.«
»Entweder sie ist damals vor vielen, vielen Jahren nicht gestorben und eine Dämonin geworden, oder sie hat eine lange Reihe von Dämonentöchtern hervorgebracht. Mit Sicherheit versucht eine solche Yaki-Frau, Euer Utopía zu zerstören. G’nda Ké stellt für Eure Siedler eine weit größere Bedrohung dar als alle Purémpe-Frauen, die sich nach den Umarmungen eines Mannes sehnen. Die Yaki-Männer stehen im Ruf, ihre Frauen grausam zu mißhandeln. Mein Urgroßvater war der Überzeugung, daß damals diese Yaki-Frau deshalb versuchte, sich an jedem lebenden Mann zu rächen.«
»Hmm«, murmelte der Pater noch einmal. »Seit Lilith kennt jedes Land der ALTEN WELT ein ähnliches Raubtier in Frauengestalt, das nichts anderes will, als jedem Mann die Eingeweide herauszureißen. Ist sie eine Frau oder eine mystische Gestalt? Wer kann das sagen? In verschiedensten Sprachen wird sie als Harpie, Lamia, Hexe, häßliches altes Weib oder la bella Dama sin merced bezeichnet.« Er musterte mich lange. Dann fragte er fast flüsternd: »Sag mir, Juan Británico, wenn ich diesen Dämon unschädlich machen soll, wie finde und erkenne ich G’nda Ké?«
»Das wird möglicherweise schwierig sein«, erwiderte ich. »G’nda Ké könnte sich für eine von den vielen durchreisenden jungen Frauen ausgeben … natürlich ist sie keine Purémpecha. Wenn sie sich verkleidet, könnte man sie sogar für eine spanische Señorita halten. Ich muß gestehen, ich kann mich nicht deutlich genug an ihr Gesicht erinnern, um es zu beschreiben. Es war hübsch, aber in der Erinnerung scheint es bis auf drei Einzelheiten irgendwie zu verschwimmen. Ich kann Euch nur soviel sagen, kein lebender Mensch hat Haare von der Farbe ihrer Haare, und ihre Haut ist mit kleinen Flecken übersät. Außerdem hat sie die Augen einer Axolotl-Eidechse. Wenn sie weiß, daß ich zu Euch gegangen bin, Pater, dann ist ihr klar, daß ich Euch vor ihr warnen will. Vermutlich hat sie sich deshalb versteckt oder Utopía bereits verlassen.«
Wir wurden von einem jungen Mönch unterbrochen, den ich schon früher gesehen hatte. Er rief aufgeregt: »Pater! Kommt schnell! Ein schreckliches Feuer wütet im Osten! San Marcos Churintzio, das Dorf der Gitarren … es scheint in Flammen zu stehen!« Wir rannten hinaus und blickten in die Richtung, in die er wies. Dort stieg eine schwarze Rauchwolke auf. Sie erinnerte mich an meinen Abschied von der Stadt Mexico auf dem Heuschreckenberg.
Aber mit diesem Unglück im Dorf hatte ich nichts zu tun. So blieb ich zurück, als Pater Vasco, seine Mönche und alle anderen Bewohner von Santa Cruz davoneilten, um ihren Nachbarn in San Marcos zu Hilfe zu kommen. Ich zweifelte nicht daran, daß dieses Feuer das Werk der bösartigen G’nda Ké war. Plötzlich spürte ich jedoch, wie mich jemand am Mantel zupfte. Ich drehte mich um und sah Zehenspitze, die sich geräuschlos an mich herangeschlichen hatte und ihrem Namen damit alle Ehre machte.
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