Der Sohn des Bannsängers
entspannte sich, als die mittlerweile vertraute silbrige Wolke um das ächzende Nashorn herum Gestalt annahm und mit jedem Ton und jeder gerappten Zeile dichter und ausgeprägter wurde. Er war gespannt darauf, auf welche Weise die Kur vonstatten gehen würde. Würde sie optisch reizvoll ausfallen oder bloß sachlich und zweckmäßig?
Sie nahm die Form einer grotesken, unförmigen, grün und gelb gefärbten Gestalt an, die mit schiefem, sabberndem, halbverwestem Mund grauenhaft lächelte.
Außerdem war sie nicht allein.
Überall um sie herum nahmen furchterregende Ableger dieser ersten Erscheinung Gestalt an, zur Hälfte fest, zur Hälfte unsichtbar. Ekliger Eiter tropfte zwischen den widerwärtigen, geschwungenen Kiefern hervor.
»Hört auf!« schrie Gugelund. »Macht, daß sie wieder weggehen!«
»Weggehen?« Der entsetzte Buncan war sich nicht sicher, ob es nicht alles nur noch schlimmer machen würde, wenn er jetzt zu spielen aufhörte. Ihren entsetzten Gesichtern nach zu schließen, wußten es die Otter auch nicht. »Wie sollen wir die wegmachen? Wir zaubern sie doch herbei!« Irgend etwas zwickte ihn in die Wange. Fest.
»Verzeihung«, sagte Viz. »Ich mußte dich auf mich aufmerksam machen. Nicht ihr beschwört diese Wesen herauf, sondern er.« Er zeigte mit einer Flügelspitze auf den ächzenden, zuckenden Snaugenhutt. »Das ist das, was er sieht. Das weiß ich, weil er mir seine Visionen schon mal beschrieben hat. Euer Gesang macht sie bloß sichtbar, verleiht ihnen Substanz.« Sein Tonfall war sachlich. »Ich verfüge natürlich über keine Erfah- rungen in diesen Dingen, aber mir scheint, wenn ihr jetzt einfach so aufhören würdet, dann bliebe etwas davon zurück.«
Etwas, das roch wie faules Fleisch auf verbranntem Toast, kam auf sie zugeschlurft, die schwammigen Arme hatte es ausgebreitet, die Augäpfel hingen an rohen, faserigen Strängen. Es war nur zur Hälfte fest, und Buncan zwang sich, nicht vor ihm davonzulaufen.
»Wenn wir weitersingen«, murmelte er, während seine Finger unermüdlich weiterspielten, »dann machen wir wahrscheinlich alles nur noch schlimmer.«
»Wir 'aben keine andere Wahl, Kumpel«, rief Squill ihm zu.
»Mit diesen besoffenen Erscheinungen im Schlepptau geh ich jedenfalls nirgendwo'in. Wie soll ich denn den Damen unter die Augen treten, wenn mir so 'n Ding über die Schulter guckt?«
Das Schreckgespenst, das es auf Buncan abgesehen hatte, hielt sich dicht bei ihm, nicht materialisiert genug, um tatsächlich körperlichen Kontakt herzustellen. Er schauderte. Das, was da war, reichte ihm schon völlig.
Wenn sie mit Singen und Spielen aufhörten, würde es sich vielleicht einfach verflüchtigen. Falls Viz sich irrte. Bis jetzt hatte der Vogel jedoch meistens recht behalten.
Wenn ihre Musik den Alpträumen eines anderen Substanz verleihen konnte, dann konnten sie ihnen doch sicherlich auch einen Fußtritt verpassen? Als er die Tonart wechselte, wurden die Otter aufmerksam.
Bruder und Schwester veränderten den Text. Tatsächlich, die widerlichen Gestalten begannen sich aufzulösen.
»Das ist gemein«, schnatterte ein Wesen mit sechs Armen und einem spastischen Rüssel.
»Wollte gerade jemandem das Gehirn aussaugen«, stöhnte ein anderes. Mit einem glänzenden, durchscheinenden Tentakel schlug es nach Squill. Der Tentakel fuhr geradewegs durch ihn hindurch.
Je ärger das Jammergeschrei der verfallenden Visionen wurde, desto mehr ließ Snaugenhutts Ächzen und Treten nach. Wie die meisten Alkoholiker vermochte er seine Probleme erst dann zu bewältigen, wenn er sich ihnen stellte. Doch diesmal konfrontierten sich die Otter und Buncan an seiner Stelle damit. Wortwörtlich.
Mehrere miteinander verknüpfte, halbverrottete Fänge und in Verwesung begriffene Augäpfel schwebten in Buncans Gesichtsfeld, trieben vorbei und verschwanden. Wie sich herausstellte, war dies die letzte der besiegten Erscheinungen. Während sie sich verflüchtigte, fiel Snaugenhutt in einen friedlichen Schlaf und atmete in langsamen, gleichmäßigen Zügen weiter wie ein gepanzerter Blasebalg.
»Das dürfte genügen.« Viz konnte nicht schwitzen, sah aber so aus, als wollte er.
Buncan sackte zusammen; seine Finger waren taub und wund.
»Er schläft immer noch.«
»Das sind die Nachwehen«, erklärte der Vogel. »Können eine Stunde dauern, vielleicht auch mehrere. Aber nicht länger.« Er zirpte begeistert. »Garantiert. Ihr habt gute Arbeit geleistet.«
»Danke. Glaub ich auch.« Buncan
Weitere Kostenlose Bücher