Der Sohn des Bannsängers
»Blut und Knochen lassen sich bis zur nächsten Zeremonie aufbewahren. Bei Vollmond hat man einfach besseres Licht beim Ausbringen des Pulvers. Wenn Neumond oder halbvoller Mond gewesen wäre, hätte das an eurem Schicksal nichts geändert.«
»Mann, ich fühl mich schon viel besser«, meinte sie sarkastisch.
Chichurog reckte sich. »Es wird Zeit für mich, ein wenig zu ruhen, aber nicht hier. Wenn ihr stöhnt und schreit und unseren Schlaf stört, müssen wir euch knebeln. Darauf würde ich lieber verzichten. Eure letzte Nacht solltet ihr so angenehm wie möglich verbringen. Jedenfalls in vernünftigen Grenzen.« Er entfernte sich in Begleitung zweier Wächter. »Ich werde zu- nächst einmal die Fesseln eures großen Freundes überprüfen. Er allein reicht schon aus, mehrere Felder zu düngen.«
Eine einzige Meerkatze blieb zurück, um sie zu bewachen. Angesichts der Art und Weise, wie man sie gefesselt hatte, war selbst diese eine Wache überflüssig, fand Buncan. Man hatte sie mit teuflischer Erfindungsgabe gebunden. Er konnte kaum die Finger bewegen, geschweige denn eine Hand. Es war unmög- lich, sich mit dem Rücken zueinander gegenseitig die festen Lederriemen zu lösen. Seine Beine waren an Knöcheln und Knien miteinander verschnürt. Wenn er zu sehr zappelte, würde er wahrscheinlich auf die Seite fallen.
Schließlich schaffte er es, sich gegen eine der Zeltstangen zu lehnen. Squill und Neena hatte man mit dem Gesicht zur Zeltmitte auf der Seite liegen lassen. Sie waren an Pflöcken festgebunden, die man in den Boden geschlagen hatte, und vermochten sich nicht einmal umzudrehen. Gugelund hatte man es gnädigerweise gestattet zu sitzen. Zusätzlich zu den Riemen hatte man ihm lederne Fäustlinge über Hände und Füße gestreift, damit er keinen Gebrauch von seinen starken, wenn auch kurzgeschnittenen Krallen machen konnte. Der kopfüber von der Stange baumelnde Viz war völlig hilflos. Ihre Peiniger waren kein Risiko eingegangen.
Das war's dann also, dachte er. Ich werde nicht im glor- reichen Kampf gegen böse Hexer oder dunkle Kräfte sterben, nicht beim Versuch, eine wunderschöne Maid zu befreien oder des Großen Wahren habhaft zu werden, sondern als Dünger für einen Obstbaum.
Die Duar lag zusammen mit ihren Schwertern und den Bogen der Otter auf dem Haufen neben dem Wächter, der gelangweilt im Schneidersitz mitten im Zelt saß. Ohne Kapuze lehnte er mit dem Rücken an der mittleren Zeltstange und putzte sich die Krallen mit der Spitze eines Stiletts, wobei er den Gefangenen nur hin und wieder einen flüchtigen Blick zuwarf.
Es war zum Rasendwerden. Squill und Neena, die man nicht geknebelt hatte, konnten soviel rappen wie sie wollten, doch ohne die einzigartige Begleitung der Duar waren ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Buncan versuchte seine Handgelenke aneinander zu reiben und hatte dabei etwa soviel Erfolg, wie er erwartet hatte, und das hieß keinen.
Im Laufe der Nacht versiegte der stetige Strom an Klagen, den die beiden Otter ausstießen, immer mehr. Da es nichts zu tun gab, probierten sie es trotzdem mit Bannsingen, wobei sie eine solche Menge gereimter Beschimpfungen hervorbrachten, daß es beinahe ausgeschlossen schien, daß der Wächter nicht reagieren würde. Doch abgesehen von einem gelegentlichen to- leranten Lächeln mißachtete er sie vollkommen und weigerte sich, sich von Squills aufreizenden Texten provozieren zu lassen. Warum sollte er auch, dachte Buncan, wenn sie morgen um diese Zeit alle sechs bereits Bodendünger sein würden?
Der Meerkater war dermaßen gelangweilt, daß er hin und wieder tatsächlich einnickte, bis er nach einer Weile zusammenfuhr und wieder zu sich kam. Das war eine erfreuliche Entwicklung, aus der sie jedoch nur in ihrer Vorstellung einen Vorteil ziehen konnten.
Mit Einbruch der Dunkelheit hatte irgendwo im Dorf ein stetiger mehrstimmiger Gesang eingesetzt. Er wurde begleitet von kleinen Trommeln, Zimbeln und rasselnden Kürbissen. Eine Art Beschwörung der Feldgötter, die ein musikalisches Sühneopfer brauchten, vermutete Buncan. Obwohl es bereits nach Mitternacht war, ging das dröhnende Konzert unablässig weiter.
Wenn es aufhörte, würden er und seine Freunde vermutlich sterben. Er fragte sich, wie lange es wohl dauerte, bis man ausgeblutet war.
Durch den offenen Zelteingang drang immer noch kein Morgenlicht, wenngleich er nur schätzen konnte, wie spät es tatsächlich war. Jon-Tom hatte von der Anderwelt ein Gerät mitgebracht,
Weitere Kostenlose Bücher