Der Sohn des Bannsängers
»Damit ihr es an der Wurzel ausmerzen könnt.«
Buncan stellte fest, daß er eher Vorfreude verspürte als Angst. Wer ehrliche, heilsame Magie auf so abscheuliche Weise vorsätzlich zu pervertieren imstande war, hatte verdient, was immer das Schicksal für ihn bereithalten mochte.
Nach wie vor kamen sie ungehindert voran. Vielleicht versammelten sich die jenigen, die normalerweise in diesen Gängen patrouillierten, auf der Mauer, um Wurragarrs Leute abzuwehren und sie einzuschüchtern. Ihm war es jedenfalls recht, und daher machte er zu Morawa eine Bemerkung über das Glück, daß sie bisher gehabt hatten.
»Hält nicht vor, hält nicht vor.« Der Galah war pessimistisch.
»Die Dunklen werden merken, daß Wurragarr nicht gleich angreifen will. Dann werden sie vielleicht daran denken, ihre Flanken zu sichern. Wir müssen uns beeilen.« Unvermittelt kehrte er um und landete auf Buncans Schulter. »Wir sind wirklich ganz nahe. Ganz leise jetzt.«
Buncan senkte die Stimme zu einem Flüstern und straffte sich. »Nahe woran?«
»Am Geheimzimmer. An dem Ort, wo die Dunklen ihre Bosheiten aushecken. Am Versteck des Obersten Gremiums.« Der Galah bog in einen schmalen, niedrigen Gang ab. »Hab's durch Zufall entdeckt. Still jetzt; ich höre, wie sie reden.«
»Wahrscheinlich damit beschäftigt, die Verteidigung zu organisieren« meinte Neena.
»Still, hab ich gesagt«, zischte Mowara.
Sie wurden langsamer, und Buncan sah, daß sie sich einem kleinen Loch in der Wand des Ganges näherten. Von der anderen Seite drangen Lichterschein und Gemurmel herüber. Als er sich vorschlich und einen Blick hindurchwarf, stockte ihm der Atem. Der Anblick, der sich ihm bot, schien den unzensierten Wahnvorstellungen eines schwerkranken Geisterbeschwörers entsprungen zu sein.
In der tiefergelegenen Kammer waren zehn Personen versammelt. Alle trugen die dunkle Kutte der Mönche von Kilagurri, so daß sie nicht zu unterscheiden waren. Sie saßen um einen langen Tisch aus poliertem Holz herum, dessen Farbe und Maserung Buncan unbekannt waren. Sein Glanz ließ eher an Glas denken als an massives Holz.
Teppiche, die so dicht und fein waren, daß man sie kaum für handgewebt halten mochte, bedeckten den Boden. Die Becher, aus denen die Mönche tranken, waren mit einer dunklen, brodelnden, geruchlosen Flüssigkeit gefüllt. Mehrere der Anwesenden kritzelten auf dicke Notizblöcke, die an der linken Seite mit Schlingen aus dünnem Draht zusammengeheftet waren.
Auf dem Tisch waren vier mit einem Glasfenster versehene Kästen so aufgestellt, daß jedes der Fenster in eine andere Himmelsrichtung wies. Aus der Oberseite eines jeden Kastens ragten mehrere Skalen hervor. Drähte verbanden sie mit einem erheblich größeren Kasten in der Tischmitte und mit kleinen rechteckigen Tafeln vor jedem der Mönche. Einige der An- wesenden tippten zögernd auf ihre jeweilige Tafel. Auf magische Weise von innen erhellt, zeigten sich in den Kastenfenstern wechselnde, sich bewegende Bilder, die unmittelbar auf das scheinbar zufällige Getippe der Mönche zu reagieren schienen. Vom Hauptkasten in der Mitte ging ein leises Winseln aus wie von einem Lebewesen.
Vor Buncans Augen trat ein gutaussehendes weibliches Opossum in den Raum, das seinen mit grünen Seidenbändern umwundenen Schwanz hoch in die Luft streckte. Squill stieß einen leisen Pfiff aus, worauf ihm seine Schwester den Ellbogen in die Rippen stieß. Aus einer Keramikkaraffe, die sie auf einem Tablett trug, schenkte die Dienerin den Mönchen von der dampfenden, dunklen Flüssigkeit in die Becher nach. Diese nahmen keine Notiz von ihr.
»Was für 'n Zauber trank mag das wohl sein?« murmelte Neena.
»Ich hab sie darüber reden hören.« Mowara verrenkte sich den Hals, um besser sehen zu können. »Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, sind sie alle ganz verrückt danach. Er verändert sie auf eigenartige, subtile Weise. Sie nennen ihn ›Kaffee‹ und glauben, er verleihe ihnen besondere Kräfte, aber dafür habe ich keine Beweise. Vielleicht handelt es sich um ein kollektives Ritual, bei dem es vor allem auf die soziale Funktion ankommt. Versteht ihr?«
Die versammelten Mönche hoben einmütig die Becher und stimmten einen hypnotisierenden Singsang an, von dem Buncan nur die feierlich intonierten Worte »Stimme uns heiter« und das unverständliche »Koffein« mitbekam. Im Anschluß an diese kurze Zeremonie wurde die Sitzung fortgeführt. Sosehr er sich auch bemühte, vermochte Buncan dennoch
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