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Der Sohn des Donnergottes

Der Sohn des Donnergottes

Titel: Der Sohn des Donnergottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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darüber nach. War es nicht unglaublich mühsam, so wahnsinnig viele Buchstaben zu sammeln, daß ein komplettes Buch zustande kam?
    Sampsa erzählte, daß man die Leute, die Buchstaben sortierten, Schriftsteller nannte. Manche Menschen machten so etwas sogar zu ihrem Beruf.
    »Das ist bestimmt ein entsetzlicher Beruf«, seufzte Rutja voller Respekt. »Muß man die Buchstaben immer einzeln einsetzen? Kann man nicht zum Beispiel 100.000 Stück vom Buchstaben U nehmen und auf einen Schlag ins Buch stecken? Und danach genauso viele As und so weiter?«
    Doch Sampsa sagte, daß man jeden Buchstaben gesondert schreiben müsse, damit sinnvolle Wörter zustande kämen. Es war nicht möglich, die Arbeit des Schriftstellers in irgendeiner Form zu rationalisieren. Es war, wie es war, da konnte man nichts machen.
    »Zum Glück bin ich ein Gott und kein Schriftsteller«, entfuhr es Rutja voller Erleichterung. Dann las er laut ein Stück aus dem Werk vor, das er in Händen hielt. Zufällig war es Jukka Nevakivis historische Schrift über die Murmansker Legion.
     
    »Spätestens seit dem Feldzug von Paanajärvi im Januar 1919 war in der finnischen Legion der Glaube verschwunden, als Befreier nach Finnland zurückzukehren. Da alle anderen Rückzugswege versperrt waren, dachte die Führung der Legion über einen Verbleib in Ost-Karelien nach. Die Karelier hätten kaum etwas dagegen gehabt, im Gegenteil: Hätten die Legionäre dauerhaft Stellung in diesem Gebiet bezogen, wären sie auch aus Sicherheitsgründen kaum damit einverstanden gewesen, die finnische Grenze auf das dünn besiedelte Gebiet jenseits der Grenze auszuweiten; sie hätten sich vermutlich auf die anti-russischen Gebiete konzentriert, auf die Waldarbeitsplätze und die Holzindustriezentren, die sich entlang der Bahnlinie und in der Umgebung von Vienanmeri befanden, die ihnen von früher her bekannt waren und wo Arbeiten anfielen, die ihren Gewohnheiten entsprachen. Dieser Gedanke war identisch mit den Umsiedlungsplänen, die Tokoi und Gylling dem Volkskommissariat vorgeschlagen hatten sowie der – man beachte! – von Gylling damals skizzierten Ost-Karelischen Volkskommunen-Idee. Sowohl die unter britischem Schutz organisierte nordrussische Regierung als auch Emigrantenkreise, die sich in Finnland niedergelassen hatten, widersetzten sich dem Vorschlag – eine Tatsache, die dazu beitrug, daß sich die roten Aktivisten der finnischen und der karelischen Legion mehr denn je einander annäherten.«
     
    In Gedanken versunken legte Rutja das Buch aus den Händen. Der Text, den er da gelesen hatte, machte tiefen Eindruck auf ihn. Er ging zum Bücherregal, betrachtete die vielen Buchrücken und massierte sich den Kopf.
    »Das sind also Bücher? Voller Buchstaben! Erstaunlich!«

7
    Im Verlauf des Vormittags erzählte Sampsa Ronkainen Rutja Ronkainen aus seinem Leben – nicht weil er sich seinem Gott anvertrauen wollte, sondern im Sinne der Unterweisung. Der Sohn des Donnergottes tat gut daran, sich mit seiner neuen Menschengestalt vertraut zu machen. Sampsa berichtete über seine Tätigkeit als Verwalter eines heruntergekommenen Hofes und als Antiquitätenhändler in Helsinki. Er übergab Rutja sämtliche Schlüssel, auch die vom Auto und vom Antiquitätenladen. Er erläuterte seine Geschäftsprinzipien und zeigte Rutja sämtliche Dokumente und Papiere. Er öffnete seinen Kleiderschrank, führte seinen Anzug und seine Oberbekleidung vor, ebenso seine Wäsche, seine Krawatten, seine Schuhe und seine ganze andere persönliche Habe bis hin zu Rasierzeug, Aktenmappe und Geldbörse. Diese bescheidene Ausstattung konnte Rutja nicht recht zufriedenstellen. Er fragte, ob Sampsa denn nicht mehr Anzüge hätte, und zwar aus besserem Stoff. Besaß er wenigstens einen anständigen Bärenpelz? Nein, mußte Sampsa gestehen. Selbst die Aktenmappe war abgenutzt, allerdings immerhin aus echtem Leder.
    Mit Leidenschaft studierte Rutja die Grundbedingungen des Menschseins. Zur Hälfte war er ein Gott, zur Hälfte Sampsa Ronkainen. Der Übergang in die neue Rolle schien ziemlich reibungslos vonstatten zu gehen. Häufig stellte Rutja sehr präzise Fragen zu den Dingen, die ihm beigebracht wurden, zum Beispiel als die Rede auf das Autofahren kam:
    »In das Auto steigt man also durch die linke Vordertür ein, man setzt sich hinter den runden Ring – das Lenkrad, oder? Mit dem einen Fuß tritt man die Kupplung, und mit dem Schlüssel zündet man den Strom für den Anlasser an, der das Auto in

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