Der Sohn des Donnergottes
komme ich auf dem schnellsten Weg nach…« Mehr konnte er nicht sagen. Auf der Veranda war ein heftiger Familienstreit im Gange. Die beiden, etwa dreißig Jahre alt, machten sich gegenseitig mit widerlichen Worten Vorwürfe. Der Mann saß schlecht gelaunt in einem Korbsessel und behauptete, die Frau sei eine Säuferin, eine Nutte und zu allem Überfluß auch noch häßlich und verrückt. Die Frau erklärte Rutja, er brauche nicht auf ihren Mann zu achten, das sei nun eben mal bloß eine jämmerliche Kreatur, schon ganz grün vor Eifersucht. Die Frau war betrunken, der Mann nüchtern. Rutja versuchte, die Hautfarbe des Mannes genauer zu erkennen. Einen Grünschimmer konnte er beim besten Willen weder im Gesicht noch an den bloßen Füßen erkennen.
Rutja bemühte sich, die beiden zu beruhigen. Die Frau machte er darauf aufmerksam, daß die Füße des Mannes eine ganz normale Hautfarbe hätten, und dem Mann erläuterte er, daß das Trinken an und für sich eine sehr gute Sache sei, im Himmel gab es sogar einen entsprechenden Gott namens Pelto-Pekka, der für die Trinker zuständig war. Es gab überhaupt keinen Grund, sich über eine Ehefrau zu beschweren, die Pelto-Pekka huldigte.
Als der Mann etwas von einem gewissen Pekka hörte, drehte er endgültig durch, die Frau wiederum mochte es nicht, daß Rutja von den bloßen Füßen ihres Mannes sprach. Das Geschrei wurde so laut, daß Rutja schnell den Kopf einzog, den Motor startete und auf die Landstraße zurücksetzte. Mit durchgetretenem Gaspedal fuhr er weiter und dachte, daß die Finnen schon ein eigenartiges Pack waren, stritten sich um sinnlose Dinge und das auch noch wilder als die Kleingeister in der Hölle.
Die Straße führte den Sohn des Donnergottes schließlich doch in den Hauptort des Kirchspiels. Der Ort war klein und durch die Nähe zur Hauptstadt Helsinki verkümmert. Ein paar Geschäfte, die ein oder andere Tankstelle, eine Schule und ein Heilpraktiker, das war alles. Die Kirche war schon von weitem zu erkennen. Auf dem Glockenturm ragte ein großes Kreuz empor. Daraus schloß Rutja, daß es sich um die christliche Opferstätte handeln mußte. Rutja bremste vor der Kirche, daß der Friedhofssand stob. Er schlug die Wagentür zu und ging auf das Hauptportal zu.
Beim Betreten der Kirche wollte der Sohn des Donnergottes ganz deutlich machen, daß er nicht die Absicht hatte, Jesus heimlich und hinterrücks seine Anhänger auszuspannen. Rutja vertraute auf seine Kräfte: Jesus würde es mit ihm zu tun bekommen. Hier wurde nicht hintenrum vorgegangen.
8
Soweit Rutja informiert war, hatte Jesus die Erde vor knapp zweitausend Jahren besucht. So lange brauchte es also, bis eine Religion in der Vorstellung der Menschen den Rang einer Weltlehre einnahm. Rutja erinnerte sich, daß Jesus erst knapp über dreißig war, als er ans Kreuz genagelt wurde. Rutja wollte sein Schicksal nicht gern teilen. Am Anfang war man wohl besser vorsichtig. Es galt einen kühlen Kopf zu bewahren.
Die kleine Holzkirche von Suntio war rot gestrichen, und ihr steiles Satteldach war mit geteerten Schindeln gedeckt. Der ebenfalls hölzerne Glockenturm ragte neben der Kirche knapp über deren Dachfirst hinaus. Die Gebäude und der Friedhof wurden von einer grauen Natursteinmauer eingefaßt, und ein Sandweg führte vom Glockenturm zum Hauptportal der Kirche. Rutja ärgerte sich ein wenig darüber, daß die Leute von Suntio dem falschen Gott so ein schönes Haus gebaut hatten. Weniger hätte auch gereicht. Die Kirche war unverschlossen, und Rutja trat ein. Ein Gang führte zum Altar des Hauptschiffs. Rutja schätzte, daß in den Holzbänken des Kirchenraums ungefähr dreihundert oder vierhundert Menschen Platz hatten. Über dem Haupteingang befand sich eine breite Empore mit der Orgel. Gegenüber, am anderen Ende des Raums, hingen ein Altarbild, das Jesus am Kreuz darstellte. Rutja schauderte es, da war sein Kollege am Ende seiner irdischen Reise abgebildet. Auf eine ganz üble Weise hatte man ihn umgebracht: In Hände und Füße waren Nägel eingeschlagen worden, und man hatte ihm einen Dornenkranz auf den Kopf gesetzt. Rutja empfand eine Art Mitleid Jesus gegenüber. Er fand es einigermaßen widerlich, ein solches Bild an einer Kultstätte aufzuhängen. Die Menschen waren merkwürdig: Zuerst töteten sie den Sohn Gottes, dann bereuten sie es plötzlich wieder und malten geschmacklose Bilder von der Leiche. Und am Ende hängt das blutige Gemälde vor den Augen des gesamten Volkes am
Weitere Kostenlose Bücher