Der Sohn des Kreuzfahrers
streitenden Barbaren umgeben, wurde ihr jüngster Ableger im Dienst des Lichts immer stärker. Der Rest der Kirche, die sich mit dem Namen unseres Herrn schmückt, mag in Verruf geraten sein und mit Intrigen und Skandalen der Macht nachjagen und in Schande versinken, aber wir, die wahren Cele De, bleiben standhaft und halten am Wahren Weg fest.«
Emlyn schwieg einen Augenblick lang. Dann seufzte er. »Ach, fy enaid«, sagte er, und seine Stimme verhallte in der Nacht. »Ich fürchte, ich habe schon zuviel gesagt.«
»Das stimmt nicht«, versicherte ihm Murdo. »Ich beginne allmählich zu verstehen ... glaube ich. Aber was, wenn ihr euch irrt? Was, wenn es weder ein Heiliges Licht noch einen Wahren Weg gibt?«
»Auch ich habe mich das bereits gefragt«, erwiderte der Kirchenmann nachdenklich. »Ich habe lange und hart darüber nachgedacht, und ich glaube, am Ende läuft alles auf folgendes hinaus: Wenn wir uns irren, was kann dann schlimmstenfalls geschehen? Nun, schlimmstenfalls sind wir nur eine Handvoll irregeleiteter Mönche, die sich einbilden, eine besondere Aufgabe zu haben - weiter nichts.«
Mit dieser Antwort machte sich der rundliche Mönch bei Mur-do beliebter als mit allem, was er bisher gesagt hatte oder was er sonst hätte sagen können. Murdo hatte noch nie einen Kirchenmann kennengelernt, der auch nur den Hauch von Zweifel zugegeben hätte. Hier jedoch war ein Mönch, der nicht nur seine Zweifel eingestand, sondern auch die Möglichkeit einräumte, daß sie berechtigt sein könnten.
»Aber wenn wir recht haben, was dann?« fuhr Emlyn fort. »Dann liegt die Zukunft des Glaubens und der Menschheit in unseren Händen, und es ist unsere Aufgabe, beides zu beschützen. Wie du also siehst, bleibt es gleich, ob wir uns irren oder nicht - wir können
unsere Pflicht auf keinen Fall verleugnen.«
»Ich verstehe«, erklärte Murdo. »Aber wenn niemand den Menschen den Wahren Weg weist, wie sollen sie dann je die Lehre empfangen? Und warum muß sie geheimgehalten werden?«
»In den Augen der Welt gehören wir weder zu den Hohen noch zu den Mächtigen; das ist sowohl ein Segen als auch ein Fluch«, antwortete der Mönch. »Unsere Waffen sind die Waffen der Schwachen: Schläue und Heimlichkeit. Beides besitzen wir im Überfluß und haben gelernt, damit umzugehen. Du darfst unsere Feinde nicht unterschätzen: Es sind viele, und sie sind mächtig - der Papst in Rom ist der Höchste unter ihnen. Seit nunmehr sechshundert Jahren versucht Rom, die Cele De zu vernichten, doch wir haben überlebt. Wir sind zwar nur wenige, aber genug, um unsere Arbeit auch in Zukunft fortsetzen zu können. Es ist die Heimlichkeit, die unser Überleben sichert, und daran halten wir fest.«
Murdo dachte einen Augenblick lang nach, dann fragte er: »Wenn Heimlichkeit für euch so wichtig ist, warum hast du mir dann das alles erzählt?«
»Ich habe dir soviel erzählt, wie ich jedem erzählen würde, der fragt und bereit ist zuzuhören. Die eigentliche Lehre ist das Geheimnis, nicht die Art ihrer Verbreitung oder ihr Zweck.«
Traurig betrachtete Murdo den Mönch. Was auch immer sonst sie sein mochten, die Cele De waren offenbar Verrückte: Sie streiften durch die Wildnis am Ende der Welt und hielten nach Trotteln Ausschau, denen sie ihre Geschichten erzählen konnten. Mur-do mochte Emlyn, und der Mann tat ihm leid. Aber trotz allem machte ihn all dieses Gerede von Licht, Wegen, Geheimnissen und Lehren nervös und ungeduldig, und er bedauerte es, sich auf dieses unsinnige Gerede eingelassen zu haben. Auch kam er sich dumm vor, weil er sich - wenn auch nur kurz - von dem Mönch zu der Hoffnung hatte verleiten lassen, in den Geschichten könne ein Körnchen Wahrheit stecken, daß es etwas geben könnte, das zu lernen und zu schützen sich lohnen würde.
Noch während er über diese Dinge nachdachte, erinnerte sich Mur-do an sein eigenes kleines, schäbiges Geheimnis: daß er in Wirklichkeit überhaupt kein Kreuzfahrer war. Er hatte weder das Kreuz genommen noch die Absicht, für die Befreiung des Heiligen Landes zu kämpfen. Die Erinnerung daran milderte sein hartes Urteil über den seltsamen Mönch ein wenig. Da er sein eigenes Geheimnis als viel zu wertvoll erachtete, um es jemandem mitzuteilen, konnte er nachvollziehen, wie Emlyn sich fühlen mußte.
ünf Wochen, vielleicht sechs, aber auf keinen Fall mehr«, erklärte 11 Graf Raimund von Toulouse zuversichtlich. »Die Entfernung zwischen den Städten ist nicht allzu groß, und
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