Der Sohn des Kreuzfahrers
an.
Graf Raimund war inzwischen ungeduldig geworden, und aus Furcht, der Sultan würde bald mit einer größeren Streitmacht wieder zurückkehren, hatte er Befehl gegeben, Belagerungstürme zu bauen, um mit deren Hilfe die Mauern zu überwinden.
Drei Tage lang wurde ununterbrochen an den Türmen gearbeitet. Der plötzlich neu entflammte Eifer der Eindringlinge beunruhigte die Bevölkerung von Nikaia. Tag für Tag beobachteten sie mit wachsendem Entsetzen, wie die Türme sich ihrer Vollendung näherten. Nachdem sie gesehen hatten, wie ihr Sultan von diesen seltsamen neuen Römern in die Flucht geschlagen worden war und da sie ein Gemetzel fürchteten, falls die Mauern mit Gewalt genommen würden, sandte der Emir von Nikaia im Schutze der Nacht einen Abgesandten ins feindliche Lager, um mit dem Befehlshaber der Byzantiner über die Einstellung der Kampfhandlungen zu verhandeln. Der Abgesandte verließ die Stadt durch ein Kanaltor auf der Seeseite und kehrte kurz darauf mit einer kaiserlichen Eskorte auf demselben Weg wieder zurück.
Als die Kreuzfahrer sich am nächsten Morgen wieder erhoben, um die Arbeit an den Belagerungstürmen fortzusetzen, wehte die kaiserliche Flagge über dem Tor. Wütend über diesen Verrat rief Raimund Tatikios in sein Zelt und verlangte eine Erklärung.
»Sie wollten sich ergeben«, erklärte der Stratege schlicht, »und da die Stadt vormals dem Basileus gehört hat, baten sie um kaiserlichen Schutz. Selbstverständlich habe ich entsprechende Vorkehrungen getroffen, eine Garnison in der Stadt zurückgelassen und die Verteidiger entwaffnet.«
»Das ist Verrat!« brüllte Raimund und sprang aus dem Stuhl.
»Welcher Art?« fragte der Stratege.
»Mir hätten sie sich ergeben müssen«, antwortete der Graf und schlug sich auf die Brust. »Die Belagerungstürme sind fast fertig. Wir sind bereit, die Stadt zu stürmen. Der Sieg gehört mir.«
Der listige Byzantiner blickte dem großen, schlanken Ritter in die Augen. »Ich verstehe Euren Zorn nicht«, erwiderte er. »Ich dachte, es wäre Sinn des Ganzen gewesen, die Stadt zu erobern und nicht, sie zu zerstören. Diplomatie ist dem Blutvergießen stets vorzuziehen.« Tatikios hielt kurz inne und musterte Raimund mit kaum verhohlener Verachtung. »Aber vielleicht hättet Ihr das Blutvergießen
ja vorgezogen.«
»Raus hier!« kreischte Raimund und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Raus!«
Der Stratege verneigte sich steif, machte auf dem Absatz kehrt und ging. Zurück blieb ein Graf von Toulouse, der vor Wut förmlich kochte, weil man ihn auf so schändliche Art um seinen Sieg betrogen hatte.
Alle Wut war jedoch rasch vergessen, als die lateinischen Fürsten gemeinsam die Kontrolle über die Stadt übernahmen und die Probleme ihnen rasch über den Kopf wuchsen, denn sie konnten sich nicht einigen, wie sie vorgehen sollten: Keiner wollte dem anderen die Eintreibung des Tributs anvertrauen, und noch nicht einmal über die Frage der Höhe der Zahlungen kam es zu einer Einigung. Auch vermochte niemand zu sagen, was sie denn mit Nikaia anfangen sollten, nun da sie die Stadt erobert hatten.
Daß die Stadt von jetzt an beschützt werden mußte, war offensichtlich; andernfalls wäre sie rasch wieder in die Hände von Sultan Kilidsch Arslan gefallen. Schließlich war sie die Hauptstadt der Seldschuken gewesen, und diese würden alles daransetzen, einen solch wertvollen strategischen Außenposten so schnell wie möglich wieder zurückzugewinnen. Auch war den Kreuzfahrern eine der Lieblingsfrauen des Sultans gemeinsam mit einigen seiner Kinder in die Hände gefallen, und Kilidsch Arslan würde ohne Zweifel versuchen, sie zu retten und sich an jenen zu rächen, die ihn gedemütigt hatten.
Herzog Gottfried sprach sich dafür aus, eine kleine Garnison zurückzulassen. »Zum Wohl jener, die Weiterreisen, müssen wir die Stadt sichern«, erklärte er. »Wir dürfen nicht zulassen, daß der Feind uns die Verbindung nach Konstantinopel abschneidet. Auch möchte ich es vermeiden, daß wir den ganzen Weg nach Jerusalem diese Sarazenenteufel auf den Fersen haben.«
Bischof Adhemar stimmte dem zu. »Als Zeichen seines Wohlgefallens hat uns Gott den ersten von vielen großen Siegen geschenkt. Es wäre respektlos von uns, würden wir nun einfach wegwerfen, was der Herr uns in seiner Großmut gegeben hat. Die Stadt muß an den Papst und die heilige Mutter Kirche übergeben werden.«
Bohemund und Tankred plagten andere Sorgen. »Die Rückeroberung des
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