Der Sohn des Kreuzfahrers
und Libby gaben auch meine geliebte Cait und ich uns das Jawort und begannen gemeinsam ein langes, meist sonniges Leben. Natürlich sah ich Angus weiterhin in der Kanzlei, und dann und wann gingen wir auch in den Club, doch beide waren wir so sehr mit den Belangen unserer neu gegründeten Familien beschäftigt, daß uns keine Zeit mehr für unsere alten Junggesellenaktivitäten blieb.
An unserem zweiten Hochzeitstag trafen sich zwei verliebte Paare, die hoffnungsvoll in eine glückliche Zukunft blickten. Drei Monate später war Angus tot.
Wie so viele andere auch erlag er der Grippe-Epidemie, die in jenem Jahr ganz Europa heimsuchte. Ich wußte nichts von seiner Krankheit. Vage kann ich mich daran erinnern, daß er eines Freitags nicht zur Arbeit erschien, und auch am darauffolgenden Wochenende bekam ich ihn nicht zu Gesicht. Montag morgen war er dann gestorben; der Tod hatte ihn in den letzten Stunden der Nacht ereilt.
Ich war am Boden zerstört. Mein bester Freund war für immer von uns gegangen, und ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, mich von ihm zu verabschieden und ihm zu sagen, wieviel mir unsere Freundschaft bedeutet hatte. Nach der Beerdigung zogen Libby und das Kind - sie und Angus hatten eine ein Jahr alte Tochter - zurück nach Perth, wo Libbys Eltern wohnten; obwohl sie und Caitlin sich weiterhin regelmäßig schrieben, wurde es nie wieder wie früher.
Ich erzähle das alles hier, weil ich glaube, daß Angus' Beerdigung einen Wendepunkt darstellte. Selbstverständlich nahm ich an der Beerdigung teil, und während ich den Nachruf verlas, blickte ich auf und entdeckte jemanden einsam und allein im hinteren Teil der Kapelle. Es war Pemberton. Im schwarzen Anzug und dunklen Mantel, den er wie einen Umhang über die Schultern gelegt hatte, stand er ernst und gefaßt in der Nähe des Eingangs, die Hände vor der Brust gefaltet und den Blick gesenkt.
Im selben Augenblick, da ich ihn bemerkte, hob er langsam den Kopf und blickte mich an; doch er schaute nicht zu mir herauf wie jemand, den man von der Kanzel herab anspricht - wie gesagt, verlas ich gerade den Nachruf -, sondern er ... wie soll ich mich ausdrücken? Er hob die Augen und fixierte mich mit einem höchst außergewöhnlichen Blick. Obwohl er sich im hinteren Teil der Kapelle befand und ich auf der Kanzel, drang sein Blick tief in meine Seele ein und erfüllte mich mit einer derartigen Traurigkeit, daß ich gezwungen war, meine vorbereitete Rede augenblicklich abzubrechen. Ich fürchte, ich habe irgend etwas Unverständliches gemurmelt, um die Ansprache so rasch wie möglich zu beenden, und als ich mich anschließend wieder setzte, brach eine Welle der Trauer über mich herein.
Nach der Beerdigung - als ich mich wieder ein wenig gefangen hatte - hielt ich auf dem Leichenschmaus nach Pemberton Ausschau, doch er war nirgends zu sehen.
Sechs Monate später trafen wir uns erneut. Caitlin war mit unserem Sprößling - inzwischen hatten wir einen reizenden kleinen Engel mit Namen Annie - zur Sommerfrische ins Haus ihrer Tante gefahren. Ich kam leider nicht aus der Kanzlei heraus; also blieb ich daheim und sah zu, wie ich alleine zurechtkam. Während dieser Zeit saß ich eines Abends im Rauchsalon des Clubs, las die Zeitung und wartete auf den Dinner-Gong, als ich bemerkte, daß mich jemand beobachtete. Ich hob den Kopf und sah Pemberton, der mir gegenüber saß und mich mit dem gleichen Blick betrachtete wie schon auf Angus' Beerdigung.
»Sind Sie heute abend allein?« fragte er höflich, doch ohne Einleitung.
»Mr. Pemberton«, erwiderte ich, »was für eine angenehme Überraschung. Ich habe Sie nicht kommen gehört. Ja, ich esse heute abend allein; meine Frau verbringt die nächsten vierzehn Tage auf dem Land. Da ich die Produkte meiner eigenen Kochkünste nicht mehr ertragen kann, habe ich beschlossen, dem Alten Hirsch einen Besuch abzustatten, um zu sehen, ob man hier immer noch so gutes Essen serviert wie früher.«
»Oh, das Essen ist so hervorragend wie eh und je; das kann ich Ihnen versichern«, entgegnete er. »Ich wäre erfreut, wenn Sie mir beim Dinner Gesellschaft leisten würden. Ich wollte ohnehin schon seit einiger Zeit mit Ihnen sprechen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir. Es wäre mir eine Freude.«
In diesem Augenblick rief der große Gong die Mitglieder zum Essen, und der alte Gentleman stand auf. »Ich habe einen Tisch reservieren lassen. Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, wenn wir sofort hineingehen.
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