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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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lief jeweils eine Straße entlang, die sich an einer Brücke vor dem Haupttor trafen. Nur wenige Menschen zogen über diese Straßen, einige mit Ochsenkarren, auf denen sie Waren in die Stadt brachten. In der Luft über den Feldern und den hohen Mauern kreisten strahlend weiße Vögel.
    Ein Hauch von Frieden und Ruhe lag über dem Tal, und noch während Murdo die phantastische Stadt bestaunte, verließ ihn der Mut. Er drehte sich nach rechts und links, ließ seinen Blick am Ufer entlang wandern, an den Mauern vorbei und über das breite Tal hinweg ... wenn auch nur zur Bestätigung für das, was er bereits wußte: Nirgends waren Zelte oder Pferche zu sehen, keine Belagerer und keine trotzigen Banner auf den Mauern. Die Kreuzfahrer waren verschwunden.
    Murdo stand auf dem Gipfel des Hügels und blickte in ein ruhiges, leeres Tal, und er spürte Verzweiflung in sich aufkeimen. Die Pilger waren doch nicht nach Antiochia gezogen - oder falls doch, dann waren sie jetzt zumindest nicht mehr hier. Aber wie auch immer: Die Suche mußte fortgesetzt werden. Noch während Murdo von bitterster Enttäuschung niedergedrückt wurde, sagte Bruder Ronan: »Die Belagerung ist vorüber. Sie haben die Stadt eingenommen.«
    Natürlich, dachte Murdo, sie haben die Stadt eingenommen! Sie sind alle innerhalb der Mauern.
    Plötzlich konnte er es nicht mehr erwarten, ebenfalls dorthin zu gelangen. Nur wenige Herzschläge später rannten Murdo und die Nordmänner den Hügel hinab ins Tal. Allerdings dauerte es nicht lange, bis ihre Schritte vorsichtiger wurden. »Kommt mal her!« rief Fafnir, der ein Stück vorausgeeilt war. Murdo sah, wie sich der Seemann vorbeugte und ein zerbrochenes Schwert aus dem langen, trok-kenen Gras hob. Beinahe zur gleichen Zeit fand Sturli, der nur ein Dutzend Schritt von Fafnir entfernt war, einen halben Schild und den gesplitterten Schaft einer Lanze. »Es scheint, als hätte hier eine Schlacht stattgefunden«, verkündete Fafnir.
    Sie setzten ihren Weg fort - wenn auch langsamer -, und je weiter sie kamen, desto mehr fanden sie: seltsam spitze, zerbeulte Helme, leichte, ovale Lederschilde und Dutzende von Pfeilen, die meisten zerbrochen. Und inmitten all dieser Trümmer fanden sie die Überreste von Kriegern. Als Murdo sich bückte, um einen elegant geschwungenen Bogen aufzuheben, mußte er entdecken, daß die Waffe noch immer an der Hand hing, die sie zuletzt geführt hatte. Allerdings löste der Tote seinen Griff sofort. Plötzlich wurde sich Murdo eines beißenden Gestanks bewußt; dann bemerkte er vor sich einen wimmelnden Haufen von Maden, die in einer braunen Masse herumkrochen, und mit einem Schrei auf den Lippen sprang er zurück.
    Die Leiche war schon so weit verrottet, daß sie nicht mehr wie ein Mensch aussah; Murdo hatte sie schlicht übersehen, als er sich gebückt hatte. Erst jetzt erkannte er, was da vor ihm lag, und beinahe im selben Augenblick bemerkte er überall Leichen. Sie hatten jenen Teil des Schlachtfeldes erreicht, wo die heftigsten Kämpfe getobt hatten und wo man die Toten einfach dort hatte liegen lassen, wo sie gefallen waren.
    Einst teure, elegante Gewänder und Umhänge waren zu unansehnlichen Lumpen verkommen. Haut und Fleisch waren von der Sonne verdorrt und hart wie altes Leder. Viele der Leichen waren von Vögeln und anderen Tieren gefleddert worden, und häufig erspähte Murdo das matte Weiß von ausgeblichenen Knochen im hohen Gras. Einmal kletterte er über etwas hinweg, was er für den Oberkörper eines Mannes hielt, und dabei berührte sein Fuß - wie er glaubte - einen Stein. Der Stein rollte jedoch davon, und Murdo blickte in ein verwittertes, wurmzerfressenes Gesicht, dessen leere Augenhöhlen an ihm vorbei in den sonnenüberfluteten Himmel starrten.
    Murdo bedeckte Nase und Mund mit der Hand und ging weiter; er blickte nicht länger nach rechts oder links. Nach einer Weile fiel ihm auf, daß er nirgends Pferdekadaver sah, und das verwunderte ihn. Er bezweifelte, daß die Schlacht nur von Fußvolk ausgefoch-ten worden war, und somit hätten auch Pferde getötet werden müssen. Was war nur mit ihnen geschehen?
    Als sie schließlich die Flußebene erreichten, überquerten sie auf dem Weg zum Stadttor mehrere Getreidefelder. Niemand stellte sich ihnen in den Weg, bis sie die große Brücke vor dem Tor erreichten, welche die beiden Uferstraßen miteinander verband. Sechs Wachen in weiten, hellen Umhängen - drei auf jeder Seite des mächtigen Tors - bemerkten die Waffen der

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