Der Sohn des Kreuzfahrers
gekommen.«
»Sieh mal einer an!« Der Mann musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Warum hättest du so etwas tun sollen?«
Plötzlich erschien Bruder Ronan neben der Schulter des Nordmanns. »Unser Murdo hier hat das Kreuz genommen und will sich seinem Vater und seinen Brüdern anschließen, die sich ebenfalls auf dem Weg ins Heilige Land befinden.«
Der blonde Mann akzeptierte diese Erklärung mit einem knappen Nicken. »Was nennst du deine Heimat, Junge?«
»Orkneyjar, Herr«, antwortete Murdo und zuckte innerlich zusammen. Warum hatte er das nur gesagt?
»Orkneyjar!« wiederholte der Mann beeindruckt. »Auch ich besitze Ländereien auf den Dunklen Inseln. Es scheint, als seien wir Landsleute. Sei gegrüßt und willkommen, Murdo Mutauge.« Als Zeichen der Freundschaft streckte er ihm die Hand entgegen.
Murdo ergriff die angebotene Hand. Ob seines neuen Namens mußte er unwillkürlich grinsen: Murdo Mutauge. Das gefiel ihm.
»Wir Orkneyingar müssen aufeinander aufpassen, nicht wahr, mein Junge?«
»Allerdings«, stimmte ihm Murdo zu und vergaß alle Vorsicht.
»Solltest du irgendwann einmal in Schwierigkeiten stecken, dann ruf nur nach Orin Breitfuß, und bevor du dich versiehst, wirst du ein Schwert an deiner Seite finden.« Der Herr schlug ihm auf den Rücken und bat ihn herein, um den Willkommensbecher mit ihm zu leeren.
Murdo stolperte in die kühle Dunkelheit hinter der Tür. Er fühlte sich verloren und war verwirrt. Er hatte soeben die Freundschaft und den Schutz des von ihm meistgehaßten Mannes angenommen.
n der kurzen Zeit, da König Magnus hier residierte, war der Hauptraum des Zitadellenstalles in etwas verwandelt worden, was mehr einer Trinkhalle denn einer Scheune glich. Im Zentrum des großen Raumes waren sieben lange Tische aufgestellt worden mit jeweils einer Bank auf jeder Seite. Den Boden hatte man mit Stroh eingestreut, damit er den Kriegern als Schlafplatz dienen konnte.
Murdo saß allein am Ende eines der langen Tische und hatte den Kopf in die Hände gelegt; den Becher vor ihm hatte er nicht angerührt. Daß er soeben seinem schlimmsten Feind Freundschaft geschworen hatte, hatte Murdo in Zorn und Verzweiflung zugleich gestürzt. Es wäre ihm leichter gefallen, Orin Breitfuß zu hassen, wenn der Mann sich als schweinsäugiger, gieriger und buckliger Schläger erwiesen hätte, wie Murdo ihn sich so oft vorgestellt hatte. Daß Herr Orin ein freundlicher und liebenswürdiger Edelmann war - vielleicht sogar ehrenhaft und vertrauenswürdig -, würde es Murdo nur um so schwerer machen, wenn die Zeit kommen würde, ihn hintergehen zu müssen.
Auch ich besitze Ländereien auf Orkneyjar, hatte Orin gesagt. Murdo stöhnte ob seiner eigenen Dummheit. Warum hatte er daraus nicht sofort die richtigen Schlüsse gezogen? Er hatte gewußt, daß er dem Schlupfwinkel seines Feindes immer näher gekommen war. Tausendmal, seitdem er seine Heimat verlassen hatte, hatte er diesen Tag im Geist erlebt. Er hätte besser aufpassen müssen; er hätte bereit sein müssen. Dummer, dummer Junge! Oh, warum nur hatte er sich von dem liebenswerten Edelmann nur so um den Finger wik-keln lassen?
Es bedurfte Murdos gesamter Sturheit und Willenskraft, um wenigstens einen Funken des alten Hasses wieder zu entfachen. Nur wenn er sich daran erinnerte, daß er schlußendlich bei jenen Männern war, die sich verschworen hatten, das Land seiner Familie zu stehlen und ihn seines Geburtsrechts zu berauben - nur wenn er sich an Ragna erinnerte und sich vorstellte, wie trostlos eine Zukunft ohne sie sein würde, nur dann war er in der Lage, seine feindseligen Gefühle wieder zum Leben zu erwecken.
Paß auf, Murdo! ermahnte er sich selbst. Diese Männer sind nicht deine Freunde. Sie haben dich und deine Familie beraubt. Laß dich nicht von ihrem freundlichen Verhalten täuschen. Sie würden dich vernichten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Schütze dich gegen sie! Bleib wachsam! Die Gelegenheit zur Rache wird kommen.
Dennoch fühlte er sich mißbraucht und sogar ein wenig hinters Licht geführt - als hätte man ihm etwas von beträchtlichem Wert angeboten, wohl wissend, daß er das Geschenk aus Prinzip ablehnen mußte. Mißgelaunt saß er allein in seiner Ecke und beobachtete, wie die anderen immer ausgelassener feierten. Er fühlte sich einsam und war wütend auf sich selbst und die Umstände, in denen er sich befand.
Die Tatsache, daß sein Vater und seine Brüder sich nicht mehr in Antiochia befanden, besserte auch
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