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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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einen Speer; die Klinge war auf der Reise zwar ein wenig angerostet, doch die Schneide war noch immer scharf, und der Eschenschaft fest. Als sie bereit zum Aufbruch waren, führten die Schiffswachen sie zu einem Pfad hinter dem Dorf und zeigten ihnen, wohin sie gehen mußten. Jon und seine Mannschaft, die sich nun in eine Kriegerschar verwandelt hatten, verabschiedeten sich von ihren Landsleuten und versprachen ihnen, Bier aus Antiochia zu schicken, sobald die Stadt gefallen sei.
    Begierig, so rasch wie möglich zu seinem Vater zu gelangen, reihte Murdo sich unmittelbar hinter Jon und Ronan ein, welche die kleine Gruppe anführten. Nach so vielen Monaten auf See war es ein komisches Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben; Murdo rechnete jeden Augenblick damit, daß die Erde sich heben würde, und unwillkürlich bereitete er sich auf eine Welle vor, die niemals kam. Während sie die ersten Hügel am Rand des Dorfes emporstiegen, fiel ihm der Geruch der Luft auf - schwer wie die Erde selbst, ein Gemisch aus hundert berauschenden Düften, von Lehm und Felsgestein bis zu Busch und Sommerblume.

Bereits am Morgen war es außergewöhnlich warm gewesen, und je tiefer die kleine Gruppe in die Hügel vordrang, desto wärmer wurde es. Schließlich bereute Murdo, daß er sich jemals über die Enge an Bord der Skidbladnir beschwert hatte, denn inzwischen sehnte er sich nach dem kühlen Seewind. Als sie den Gipfel des höchsten
    Hügels erreichten, warf er einen kurzen Blick zurück auf das glitzernde, ruhige Meer und die winzige Bucht mit dem ebenso winzigen Dorf, das kaum noch zu erkennen war. Dann legte Murdo den Speer über die Schulter, wandte sich nach Osten und schaute nicht mehr zurück.
    Die Sonne stand unmittelbar über ihren Köpfen, als sie die Hügel über dem Flußtal erreichten. Den Kopf gesenkt blinzelte Murdo in das gleißend helle Licht, und er spürte, daß die Haut auf seinem Rücken allmählich zu glühen begann. Dort, wo die Sonnenstrahlen auf seinen Kopf trafen, hatte er das Gefühl, als stünden seine Haare in Flammen, und seine Fußsohlen brannten selbst durch die dicken Ledersohlen der Stiefel hindurch. Sein schweres Wams war schweißdurchtränkt und klebte und scheuerte an seiner Haut. Selbst die Mönche, die bisher eigentlich nie eine Reaktion auf das Wetter gezeigt hatten, zogen ihre langen Gewänder hoch und steckten die Säume in die Gürtel.
    Der Marsch war außergewöhnlich anstrengend, doch verlief er vollkommen ereignislos. Die brennende syrische Sonne hatte gerade ihre lange Reise zum westlichen Horizont hinab begonnen, als die Männer, die Jon vorausgeschickt hatte, zurückriefen, ihr Ziel sei in Sichtweite. Gemeinsam mit dem Rest der Nordmänner und den Mönchen nahm Murdo die Beine in die Hand und rannte den letzten Hügel hinauf. Dann endlich kam die Stadt in Sicht. Wie eine riesige Sturmwolke am Horizont erhob sie sich vor ihnen zu beiden Ufern des Orontes.
    Bei dem Anblick blieben alle unvermittelt stehen.
    Die Mönche hatten gesagt, Antiochia sei eine große Stadt, eine wichtige, eine prächtige Stadt - aber sie hatten keinen der Pilger auf das riesige Gebilde vorbereitet, das sich nun zu ihren Füßen erstreckte: Achtzig Fuß hohe Mauern, sechs Meilen lang, wurden von dreihundert Türmen bewacht, von denen einige zu einer Zitadelle gehörten, die sich auf einem Hügel im Osten befand. Die tiefer gelegenen Mauern erhoben sich senkrecht vom Ufer des langsam dahinfließenden Flusses, während die höher gelegenen Teile der Be-festigungsanlagen aus dem Fels gehauen worden waren. Den höchsten Punkt nahm, wie gesagt, die Zitadelle ein; von dort aus genoß man zur einen Seite einen ungehinderten Blick zum Meer und auf der anderen bis zum Berg Tarsus.
    Voller Ehrfurcht starrte Murdo mit offenem Mund auf die Stadt hinab. Antiochia war nicht nur die größte, am besten befestigte Stadt, die er je gesehen hatte - sie war auch die schönste. Mit ihren im Sonnenlicht funkelnden Wehrmauern und Türmen wirkte sie weniger wie eine Stadt, sondern vielmehr wie ein riesiges Juwel: ein gigantisches Schmuckstück aus reinstem Elfenbein, das sich an die schwarzen Berge schmiegte, ein enormer milchfarbener Mondstein, der im saftigen Grün des Flußtals ruhte und sanft im Dunst des heißen Sommertages schimmerte.
    Entlang des Flusses erstreckten sich weite, aber unregelmäßige Acker-und Weideflächen; hier und da sah Murdo Männer, die mit Ochsen auf den Feldern arbeiteten. An beiden Ufern

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