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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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nicht gerade seine Laune. Diese Hoffnung war bereits zerschlagen worden, als er den ersten Fuß in den Stall gesetzt hatte, denn just in diesem Augenblick hatte Jon Reißzahn gefragt: »Wo sind die ganzen Leute? Die Stadt ist vollkommen menschenleer.«
    »Zumindest fast«, antwortete Orin. »Jene, die nicht in der Schlacht getötet wurden, sind anschließend der Pest zum Opfer gefallen. Wir selbst waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht hier. Belagerung und Pest waren längst vorüber, als wir hier eingetroffen sind, und die Pilger hatten sich bereits wieder auf den Weg gemacht.«
    »Alle?« fragte Jon. »Wer hält denn jetzt die Stadt? König Magnus?«
    »Nein«, erwiderte Orin, »sie gehört jemandem mit Namen Bo-hemund, einem fränkischen Fürsten.« Dann fuhr er fort zu erklären, wie sich die Kreuzfahrer nur ein, zwei Tage vor Ankunft der Nordmänner wieder auf den Weg nach Jerusalem gemacht hatten und wie dieser Bohemund König Magnus und seine Männer angeheuert hatte, um die Stadt zu bewachen.
    Murdo hatte genug gehört. Er zog sich in den hintersten Winkel des Raumes zurück und starrte trübsinnig in seinen Becher, als sähe er dort das Ende der Welt. Abseits von den anderen versuchte er sich darauf vorzubereiten, jene zu verraten, die er seinem Eid getreu verraten mußte.
    Als Bruder Emlyn seinen Freund alleine in der Ecke hocken sah, winkte er ihn zu sich heran. Murdo lehnte freundlich ab; er gab vor, von dem langen Marsch erschöpft zu sein und sich nur noch ausruhen zu wollen.
    »Komm schon, Murdo!« riefFionn und hob den Becher. »Ein kleines Schlückchen Wein, bevor du dich hinlegst.«
    Murdo weigerte sich weiterhin. Er stellte den Speer neben die anderen Waffen an die Wand, zog sich in eine ruhige Ecke zurück und ließ sich dort zu Boden fallen. Dann schloß er die Augen und preßte die heißen Schultern gegen den kalten Stein - ein wunderbares Gefühl.
    Eine Weile lag er so da und lauschte den fröhlichen Stimmen, die durch den Raum hallten, und wünschte sich, er könnte sich den Feiernden anschließen. Statt dessen jedoch verschränkte er die Arme vor der Brust und gab vor zu schlafen, während er gleichzeitig ob der bösen Streiche eines gleichgültigen Gottes mit den Zähnen knirschte - dieser Gott gab stets mit der einen Hand, nur um einem dafür mit der anderen etwas anderes zu entreißen.
    Die Ungerechtigkeit dieser bitteren Beobachtung beschäftigte Mur-do, bis einer von König Magnus' Versorgungstrupps geräuschvoll den Stall betrat und seinen Tagesfang präsentierte: Säcke mit Gemüse und Fladenbrot. Unmittelbar nach ihnen erschienen die restlichen Gefolgsleute des Königs - insgesamt über zweihundert -, die von ihren Pflichten in der Unterstadt zurückkehrten. In der Unruhe,
    die ob der Neuankömmlinge entstand, schlüpfte Murdo aus dem Stall hinaus ins matte Licht des sterbenden Tages.
    Obwohl die Sonne hinter einem trüben, weißen Dunstschleier im Westen verborgen war und lange Schatten über die Straßen fielen, stieg noch immer Hitze vom Pflaster und den umliegenden Gebäuden auf. Murdo wanderte durch eine derart enge Gasse, das er die Gebäude zu beiden Seiten gleichzeitig mit den Händen berühren konnte. Die Türen der Häuser waren nur über Steintreppen zu erreichen. An den Vorderseiten hatte man nun sämtliche Fenster geöffnet, denn schließlich gab es keine Sonne mehr, vor der man sich hätte schützen müssen. Aus den offenen Fenstern wehte der Duft von Blumen und frischem Essen auf die Straße; die seltsamen Ingredienzen der Bewohner von Antiochia erzeugten einen exotischen Duft, wie Mur-do ihn noch nie gerochen hatte.
    Bald hatte er das Ende der Gasse erreicht und trat auf einen Marktplatz hinaus - einen wie üblich verlassenen Marktplatz; ein ausgemergelter Hund, der den Müll durchwühlte, war der einzige Stadtbewohner, der sich zeigte. Der elende Hund huschte im selben Augenblick davon, als der Mensch erschien; mit gesenktem Kopfund eingekniffenen Schwanz rannte das Tier über den Platz. Dann hatte Murdo den Markt für sich allein.
    Auf einer Seite wurde der Platz von einer Steinbrüstung begrenzt. Murdo ging dorthin, beugte sich vor und blickte auf das schier unendliche Gewirr der Dächer von Antiochia hinab: flache Gebilde, die in Terrassen bis zu den alles umschließenden Mauern am Fluß hinunterreichten.
    Mit dem schwindenden Licht des Sonnenuntergangs wechselten die Farben der Häuser zu den sanfteren Tönen der Nacht, und plötzlich wirkte die Aussicht schon weit

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