Der Sohn des Kreuzfahrers
Steinplatte an ihren Platz, und Stille breitete sich in der Kapelle aus.
Der Priester ging, und auch die Pächter verließen leise das Gotteshaus, jedoch nicht, ohne Ragna im Vorübergehen ihr Beileid zu-
zumurmeln. Eng umschlungen blieben die beiden Frauen noch eine Weile hier und lauschten dem leisen Zischen der feuchten Kerzen. Dann, als hätten sie sich abgesprochen, drehten sie sich plötzlich gemeinsam um und gingen langsam aus der kleinen Kirche.
Ihre größte Trauer war kaum verflogen, als drei Tage später Rag-nas Wehen einsetzten. Die ersten kamen mitten in der Nacht, und am Morgen stand fest, daß das Baby heute noch kommen würde. Zwei der erfahrensten alten Frauen auf dem Gut wurden herbeigerufen, um bei der Geburt zu helfen, und unter Niamhs Befehl begannen sie die junge Frau auf die bevorstehende Tortur vorzubereiten. Sie kleideten sie in ein weites Gewand und entfernten das Bettzeug, um es durch Lumpen und Stroh zu ersetzen.
Vier große Schüsseln wurden mit Wasser gefüllt, von denen zwei auf dem Herd erhitzt wurden, und ein Trank aus Kamille und Lavendel wurde angerührt, den man Ragna zu trinken gab und ihr anschließend auf Hand- und Fußgelenke rieb. Aus Gänsefett und Rosenöl wurde eine Paste gemischt, die man auf Ragnas Rücken, Beinen und Hüfte verteilte. Und die ganze Zeit über erklärten die Frauen der werdenden Mutter, was sie erwartete und welche Rolle sie, die Helfer, bei der Geburt übernehmen würden.
Als die Wehen stärker und die Abstände immer kürzer wurden, hielten die Frauen Ragnas Hand und flüsterten ihr beruhigende Worte zu. Sie sagten ihr, wie schön das Kind sein würde und wie glücklich sie sich fühlen würde, wenn sie die Frucht ihres Leibes endlich in Händen hielte, mit der Gott in seiner Gnade sie gesegnet habe. Und als der Augenblick der Geburt kam, rückten die Frauen zusammen und stützten Ragnas Rücken und Beine, damit sie sich bei all den Anstrengungen nicht selbst verletzte.
Das Kind, ein Junge, wurde am Abend geboren, und alle Bewohner des Gutshauses versammelten sich in der Kapelle und dankten Gott für die sichere Ankunft des Knaben.
»Er ist wunderschön«, seufzte Ragna, als sie ihren Sohn zum erstenmal an die Brust legte.
»Murdo hat bei seiner Geburt genauso ausgesehen«, berichtete ihr
Niamh. »Er hatte genauso lange Füße.« Sie griff nach der winzigen Hand und hob mit den Fingerspitzen den kleinen Finger des Kindes. »Auch seine Finger sind so lang wie die seines Vaters.«
»Ich wünschte, Murdo könnte ihn sehen«, sagte Ragna. »Er wäre so stolz, wenn er wüßte, daß er Vater eines Sohnes geworden ist.« Sie hielt kurz inne, als sich ein Hauch von Traurigkeit in ihre Stimme schlich. »Ein Leben hat Gott genommen, ein anderes gegeben. Ist das nicht seltsam?«
»Hast du schon entschieden, wie du ihn nennen willst?«
»Ich hatte gedacht, ich nenne ihn Murdo wie seinen Vater«, antwortete Ragna. »Aber nun, da ich ihn so sehe, glaube ich, es ist besser, wenn er einen eigenen Namen bekommt. Glaubst du, Murdo hat etwas dagegen, wenn ich ihm einen anderen Namen gebe als den seinen?«
»Ich glaube, Männer interessieren sich in Wirklichkeit weit weniger für solche Dinge, als sie bisweilen vorgeben.« Niamh drehte den kleinen Kopf mit den wenigen blonden Locken in ihre Richtung. »Eine Mutter weiß ohnehin viel besser, was gut für ihr Kind ist.«
»Dann werde ich ihn Eirik nennen«, erklärte Ragna.
»Ein guter Name«, sinnierte Niamh. »Ein Name von Kraft und Ansehen. Er gefällt mir!«
»Es ist der Name meines Urgroßvaters, des ersten Mannes unseres Volkes, der sich hat taufen lassen.« Ragna schaukelte das Kind in ihren Armen und flüsterte ihm zum erstenmal seinen Namen zu. »Eirik«, sagte sie. »Gefällt dir das, mein Liebling?«
Eine Weile redeten die beiden Frauen noch über dies und das, bis Ragna schließlich erschöpft von den Anstrengungen der Geburt einschlief. Niamh breitete eine Decke über die junge Mutter und ihren neugeborenen Sohn, dann legte sie sich neben sie. Sie schliefen gut und fest; nur wenn das Kind sich rührte, wachten sie auf.
Es war Ragna, die den Tumult auf dem Hof als erste hörte: laute Stimmen, Rufe sogar, bellende Hunde und Pferde, die durch die Mittwinterkälte trabten. Augenblicklich wachte sie auf. Niamh schlief weiter.
»Wach auf, Nia.« Sanft schüttelte sie die ältere Frau an der Schulter. »Dort draußen ist irgend jemand.« Noch während sie die Worte sprach, machte ihr Herz einen
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