Der Sohn des Kreuzfahrers
fragte Niamh.
»Ich weiß es nicht, edle Frau. Man hat mir sehr wenig gesagt, was diese Angelegenheit betrifft.«
»Ich verstehe.«
»Ich werde Eure Tür bewachen, damit niemand Euch stört«, sagte er. »Packt Eure Sachen, und kommt raus, wenn Ihr fertig seid. Ich werde Euch zum Schiff bringen.«
»Danke, Hakon«, sagte Niamh. »Danke, daß Ihr uns geholfen habt.«
Der Ritter antwortete nicht darauf, sondern nickte nur knapp, als er die Tür hinter sich schloß und die beiden Frauen sich selbst überließ.
Ragna ließ den Kopf hängen und begann erneut zu weinen. »Komm, Tochter, spar dir die Tränen«, sagte Niamh mit fester Stimme. »Die Zeit des Weinens ist noch nicht gekommen. Ich brauche jetzt deine Hilfe.« Sie öffnete die schwere Holztruhe am Fuß des Bettes und machte sich daran, die Kleider herauszuholen. »Der Winterwind ist kalt, und vielleicht werden wir weit reisen müssen. Wir müssen sorgfältig überlegen, was wir für die kommenden Tage einpacken.«
Nachdem Niamh die Truhe geleert und Ragna überredet hatte, ihr zu helfen, begann sie, sie wieder mit all jenen Dingen zu füllen, die sie für die Reise brauchen würden. Als schließlich auch das erledigt war, halfNiamh Ragna in ihre wärmsten Kleider und wickelte das Kind in Wintertücher. Schließlich zog sie sich selbst an, half Ragna auf die Beine und rief nach Hakon.
»Wir sind bereit«, meldete sie ihm, als er die Tür öffnete. Dann deutete sie auf die Truhe und sagte: »Ich wäre Euch dankbar, wenn Eure Männer uns die Truhe abnehmen könnten.«
»Selbstverständlich, edle Frau.«
Die beiden setzten sich Richtung Tür in Bewegung. Ragna, nach den Strapazen der Geburt noch unsicher auf den Beinen, geriet ins Wanken und taumelte zurück. Der Ritter war augenblicklich an ihrer Seite. »Wenn Ihr gestattet?« sagte er und streckte die Hand nach dem Kind aus.
Niamh nahm Ragna das Baby ab und reichte es dem Krieger, der sich daraufhin umdrehte und den Raum verließ. »Wartet«, sagte Ni-amh. Sie holte das Schafsvlies vom Kaminsims, ging zu dem Ritter und wickelte die warme Wolle um das Kind. »Geht jetzt«, sagte sie. »Wir folgen Euch.«
Gemeinsam stiegen die beiden Frauen langsam die Treppe hinunter und nach draußen, wo ein Pferdewagen auf sie wartete. Ein wässeriges graues Licht am Horizont kündigte den nahen Morgen an, und ein paar Schneeflocken trieben mit dem Wind durch die Luft. Eine Gruppe von Pächtern stand im Hof; einer von ihnen blutete an Nase und Stirn. Manche der Frauen weinten. Einige weni-
ge von ihnen riefen Ragna etwas zu, als sie in den Wagen stieg, doch da diese sich nicht in der Lage fühlte zu antworten, hob sie nur kurz die Hand für einen letzten Gruß.
Dann traten die beiden Männer mit der Truhe auf den Hof hinaus. Als sie das schwere Möbel auf den Wagen hievten, erschien der Priester an der Tür und befahl ihnen, damit aufzuhören. Er verlangte zu wissen, was sich in der Truhe befinde. »Öffnen!« ordnete er an. »Der Bischof hat angeordnet, daß nichts von diesem Ort entfernt werden darf.«
Hakon reichte Ragna das Kind und drehte sich zu dem Priester um. »Laß sie in Ruhe.«
»Sie könnten Wertgegenstände da drin haben.«
Der Ritter packte den Mönch am Kragen und zog ihn zu sich heran. »Du nimmst ihnen mitten im Winter das Dach über dem Kopf, Priester. Mißgönnst du ihnen jetzt auch noch die Kleider, die sie am Leib tragen?«
Der Priester wollte etwas darauf erwidern, besann sich dann jedoch eines Besseren und hielt den Mund. Hakon ließ den Mönch wieder los und rief den Männern mit der Truhe zu: »Auf den Wagen damit!« Dann nahm er das Pferd am Halfter und führte den Wagen vom Hof hinunter zu dem wartenden Schiff.
M
urdo streunte ziellos um die Mauern von Jerusalem herum, 'ohne seine Umgebung auch nur zu bemerken. Die glühende Sonne verbrannte sein Fleisch, und die Dornen der Wüsten-sträucher schlugen blutende Wunden in seine nackten Beine. Nachdem er die Heilige Stadt verlassen hatte, hatte er sich auch der restlichen seiner blutverschmierten Kleider entledigt. Nur Messer und Gürtel hatte er behalten; beides trug er nun über der Schulter. Weder aß noch trank er irgend etwas, und er hielt auch nicht an, um sich auszuruhen, sondern er marschierte Tag und Nacht, während vor seinem geistigen Auge immer wieder die Bilder des schrecklichen Gemetzels vorüberzogen.
So fand ihn Bruder Emlyn dann zwei Tage später: nackt und verloren, an Beinen und Füßen blutend und die verbrannte
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