Der Sohn des Kreuzfahrers
Beziehung als Nachfolger in Betracht gezogen haben. Aber vielleicht irre ich mich auch, und es steckt weit mehr hinter meiner Wahl, als ich vermute.
Doch wie dem auch sein mag: In der Nacht meiner Initiation kehr-te ich mit meinem Umhang und dem verkohlten Fingerknochen nach Hause zurück, und ich wußte ohne den geringsten Zweifel, daß sich mein Leben erneut in dramatischer Weise verändert hatte - eine Veränderung, deren Auswirkungen ich mir nicht im entferntesten vorzustellen vermochte, doch die ich im Laufe der Zeit zweifellos entdecken würde.
Tatsächlich sollte es Jahre dauern, bis ich das ganze Ausmaß der Interessen und Aktivitäten der Bruderschaft in aller Welt überblicken konnte, und es dauerte noch viele weitere Jahre, bis ich sie verstand. Auch habe ich damals noch nicht erkannt, daß ich nicht das Ende des Weges erreicht, sondern lediglich den ersten zaghaften Schritt einer langen Reise getan hatte - einer Pilgerfahrt von schier unglaublicher Dauer.
Trotz alledem kehrte ich in jener Nacht zu Cait und den Kindern zurück, und ich fühlte mich, als hätte ich ein Faß glühenden Pechs getrunken. Ich brannte mit einer Erregung, die ich nicht eindämmen konnte. Ich konnte nicht schlafen. Statt dessen lief ich von der Halle zum Speicher hinauf und wieder zurück und murmelte ständig Gebete und Gesänge vor mich hin, an die ich mich nur halb erinnerte. Das war alles, was ich tun konnte, um mich davon abzuhalten, auf die Straße hinauszurennen und aus vollem Hals zu schreien. Im einen Augenblick lachte ich lauthals auf und im nächsten brach ich in Tränen aus - das eine Gefühl kam ebenso überraschend wie das andere.
Alles, woran ich mich erinnere, ist, daß irgend etwas während der Initiation geschehen ist, etwas Aufrichtiges und Seltenes, etwas Ungewöhnliches, geradezu einmalig - vielleicht ist >heilig< das geeignete Wort, um meine Gefühle bezüglich des Rituals zu beschreiben. Denn als ich niederkniete, um das Schwert zu küssen und den Umhang umgelegt zu bekommen, hatte ich, Gott sei mein Zeuge, wirklich das Gefühl, den Mantel eines Kreuzfahrers empfangen zu haben. Ich fühlte mich, als wäre ich einer Gemeinschaft beigetreten, die durch die Jahrhunderte bis zu jenen einfachen Rittern zurückreichte, die als erste das Kreuz genommen und geschworen hatten, Kämpfer Christi zu werden. Ich hatte mich ihnen angeschlossen, und nun konnte ich die Welt nicht länger mit denselben Augen betrachten.
In diesem heiligen Augenblick erhaschte ich einen ersten flüchtigen Blick auf das Opfer, das man von mir verlangte. Ich sah die Last, die ich würde tragen müssen, und ich akzeptierte sie, ohne zu zögern. Ich war nun soweit gekommen, und sich jetzt abzuwenden, wäre nicht nur ein Zeugnis von Feigheit gewesen, sondern auch Verrat an mir selbst und meinen Brüdern. Wenn schon so viele vor mir der Bruderschaft alles gegeben hatten, wie hätte ich mich dann weigern können? Wie hätte ich mein Leben höher als das ihre einschätzen und mich immer noch einen ehrenhaften Mann nennen können?
Das war unmöglich. Ich durfte das Vertrauen nicht enttäuschen, das jene in mich gesetzt hatten, die mich über Jahre hinweg beschützt und gefördert hatten. So ergriff ich die blanke Klinge mit meinen Händen und küßte das Heft des Schwertes - die alte Geste der Ritter, die das Kreuz genommen hatten -, und indem ich dies tat, nahm ich meinen Platz inmitten der ehrenvollen Ritter vergangener Zeiten ein.
Nachdem ich Umhang und Talisman empfangen hatte, war ich zum Ersten Grad aufgestiegen. Allerdings habe ich damals selbstverständlich noch nicht gewußt, daß es galt, sechs weitere Grade in der Bruderschaft zu erreichen; jeder einzelne dieser Grade war ein Geheimnis für sich, und erst, wenn man einem Grad angehörte, erfuhr man von dessen Existenz. Rückblickend und mit dem nötigen Abstand betrachtet kann ich sagen, daß nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder der Bruderschaft auch nur vom zweiten Grad wußten.
Ich möchte jedoch betonen, daß diese Art der Geheimhaltung nicht dazu diente, eine Elite zu schaffen - wie es leider häufig der Fall ist -, sondern sie sollte das Leben jener schützen, die durch ihr Wissen in Gefahr gerieten. Jede weitere Initiation brachte neue Offenbarungen mit sich und barg somit auch größere Risiken. Ohne melodramatisch werden zu wollen - wie die Lohnschreiber von Groschenheften -, so ist es doch eine Tatsache, daß die Bruderschaft eine geradezu unermeßliche Zahl von
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