Der Sohn des Kreuzfahrers
deutete auf Mur-do. Der Bauer blieb stehen und musterte die Männer mit kaltem Blick; dann antwortete er mit harter, rauher Stimme.
»Was sagt er?« fragte Murdo.
»Ich habe ihm erzählt, wir hätten uns sein Tier nur ausgeliehen und es nun zurückgebracht. Er glaubt mir aber nicht; er denkt, wir wollten es stehlen.«
»Frag ihn, ob Diebe für die Dinge bezahlen, die sie sich nehmen«, wies ihn Murdo an.
Ronan gehorchte und übersetzte die Antwort des Bauern. »Er sagt, die Kreuzfahrer hätten ihm alles andere bereits abgenommen, und zwar ohne zu bezahlen. Er will wissen, warum er ausgerechnet uns glauben sollte?«
Murdo griff in seinen Gürtel und holte eine Goldmünze hervor. Unter den abwartenden Blicken der Mönche trat er vor und drückte dem Bauern die Münze in die offene Hand. »Sag ihm: Wir sind keine Diebe.«
Der Mann betrachtete die Münze; die Hand schloß er nicht. Dann wandte er sich an Ronan, der seinen Gefährten übersetzte: »Auch unser Freund hier ist kein Dieb. Er sagt, das sei zuviel dafür, daß wir sein Kamel nur ausgeliehen hätten; er sagt, er könne es nicht annehmen.«
»Sag ihm, er soll sie behalten«, instruierte Murdo den alten Mönch. »Wir wollen nichts weiter von ihm, sondern nur in Frieden unseres Weges ziehen.«
Ronan sprach erneut in der seltsamen Sprache, woraufhin ein Lächeln über das Gesicht des Bauern huschte und die Münze verschwand. Dann ergoß sich plötzlich ein wahrer Redeschwall aus dem Mund des Mannes, und er ergriff Murdos Hand und küßte sie.
»Er sagt, daß er dir sehr dankbar sei«, erklärte Ronan, »und daß du dir das Tier jederzeit wieder ausleihen könntest - oder sein Haus, seine Scheune oder alles, was er besitzt, sei es klein oder groß. Wir brauchten nur zu ihm zu kommen und er würde es uns mit Freuden geben.«
Im Osten leuchtete der Himmel bereits im ersten Sonnenlicht, als die Gefährten den Hügel hinunterwanderten. Hungrig und erschöpft wünschte Murdo sich nur, möglichst bald einen kühlen Ort zum Schlafen zu finden, bevor sie sich dem stellen würden, was auch immer jetzt vor ihnen liegen mochte.
»Ich vermute, König Magnus wird sich fragen, wo wir so lange gewesen sind«, sagte Emlyn und trat neben Murdo.
»Vermutlich«, stimmte ihm Murdo zu. Bei all dem Durcheinander der letzten Tage hatte er den König und seinen Kriegshaufen, zu dem auch er gehörte, vollkommen vergessen. »Glaubst du, er wird wütend sein?«
»Er hat genug mit seinen eigenen Angelegenheiten zu tun gehabt«, erwiderte der Priester gelassen. »Er wird uns wohl kaum vermißt haben.«
»Der Bauer«, fragte Murdo, »welche Sprache hat er gesprochen?«
»Aramäisch«, antwortete der Mönch, »eine sehr, sehr alte Sprache. Es war die Sprache unseres Herrn Jesus Christus. Hier in der Gegend wird sie noch von vielen gesprochen. Überrascht es dich, daß
Ronan sie beherrscht?«
Murdo zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was man Priestern lehrt.«
»Mein Freund«, tadelte ihn Emlyn freundlich, »du solltest doch inzwischen wissen, daß du jene, die dem Wahren Weg folgen, nicht mit anderen Priestern vergleichen kannst.«
21. Januar 1899:
Edinburgh, Schottland
Mil enn ich jetzt darüber nachdenke, so bin ich davon überzeugt, ixü daß man mich ausgewählt hat, um Angus zu ersetzen. Indem ich dies sage, will ich den Wert meiner Wahl nicht schmälern oder in Frage stellen, ob ich der Ehre würdig gewesen bin, in die Bruderschaft berufen zu werden. Ich will damit lediglich zum Ausdruck bringen, daß ich - hätte Angus gelebt - aller Wahrscheinlichkeit nach erst gar nicht gefragt worden wäre, dem Mildtätigen Orden beizutreten.
Es ist eine einfache Wahrheit, daß Pemberton Angus' Freund war, nicht meiner. Ich glaube, der alte Gentleman hatte ihn schon Jahre umworben und sich um ihn gekümmert, und ich bezweifele nicht, daß Angus im Laufe der Zeit ein wertvolles Mitglied der Bruderschaft geworden wäre. Zumindest weiß ich, daß ich Angus' grenzenlose Leidenschaft vermißt habe, seine gelassene Art, seinen Scharfsinn und seine Treue. Aber das Leben ist selten vorhersehbar; häufig macht das Schicksal selbst die besten Pläne zunichte. Angus war von uns gegangen, und ich war zurückgeblieben.
Auf eine gewisse Art könnte man sagen, sein Geburtsrecht sei durch unsere Freundschaft auf mich übergegangen. Nach seinem Tod machte sich die Bruderschaft erneut auf die Suche; ich vermute, daß es nicht lange gedauert hat, bis sie mich aufgrund unserer engen
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