Der Sohn des Kreuzfahrers
hielten. Torf, Skuli und Paul fiel das ebenfalls auf, und mit lautem Jubel ob der hohen Ehre begrüßten sie ihre Freunde, während die beiden Familienoberhäupter voller Stolz auf ihre jeweiligen Nachkömmlinge von einem Ohr zum anderen strahlten und sich gegenseitig versicherten, daß nichts und niemand den Erfolg der Pilgerfahrt verhindern könne. Die Damen hatten in der Zwischenzeit ernstere Dinge zu besprechen. Niamh führte Ragnhild ein Stück beiseite, ergriff die Hände der Freundin, und offensichtlich besorgt begannen die beiden Frauen miteinander zu reden.
Da Murdo nicht hören konnte, worüber sie sprachen, wandte er sich von ihnen ab und fand sich unvermittelt allein mit Ragna wieder. Der Schock drehte ihm den leeren Magen um, und seine Hände wurden feucht.
»Seid gegrüßt, Herr Murdo«, sagte Ragna, und oh, ihre Stimme klang wie Honig so süß.
Selbst wenn ihr Anblick nicht sein gesamtes Blickfeld gefangen nahm, Murdo hätte ihre Schönheit allein wegen des Klangs ihrer
Stimme bewundert. Ein Wort aus ihrem Mund genügte, und ihre volle, tiefe Stimme entfachte ein Feuer in seinem Herzen. Andere Ohren empfanden Ragnas Stimme vielleicht als ein wenig zu rauh, da es ihr am melodischen Tonfall hochgeborener Jungfern mangelte, doch für Murdo klang sie wie ein sanftes Schnurren, während andere Mädchen nur schnatterten.
»Ein schöner Tag, nicht wahr?« fragte Ragna unschuldig. Sie blickte ihn unter ihren Wimpern hervor an, und Murdo spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Dann schnürte es ihm die Kehle zu, und er konnte nicht mehr atmen.
Murdo öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch er mußte feststellen, daß er offenbar seine Sprachfähigkeit eingebüßt hatte und nun vollkommen stumm war.
»Ich glaube, wir werden das Fest zusammen feiern«, fuhr Ragna fort, die Murdos Problem offenbar nicht bemerkt hatte. »Oder zumindest scheint es so.«
»Wirklich sehr schön, Jungfer Ragna.« Die Antwort überraschte Murdo, der die Stimme, die sie ausgesprochen hatte, nicht als seine eigene erkannte.
Ragna sah ihn sittsam an, und er hatte das Gefühl, als erwarte sie von ihm, er solle fortfahren. »Ich habe den heiligen Johannes schon immer gemocht«, stieß er hervor und wünschte sich, niemals geboren worden zu sein.
»Ich ihn auch«, lachte Ragna, und Murdo kam sich immer dümmer vor.
»Ich meine natürlich das Fest«, korrigierte er sich rasch. »Das ist mein Lieblingsfest - abgesehen vom Christfest natürlich.« Trottel! schrie er innerlich. Ich meine, ich meine. Ist das alles, was du sagen kannst, du Rindvieh?
»Das ist richtig«, stimmte ihm Ragna fröhlich zu. »Das Christfest ist wirklich das beste, aber Ostern mag ich auch.«
Es folgte ein peinliches Schweigen, während dessen Murdo verzweifelt nach etwas suchte, was er darauf erwidern konnte. Ragna rettete ihn. »Wie ich sehe, trägst du kein Kreuz.«
Murdo blickte reumütig auf seine leeren Hände. Er schüttelte den Kopf. »Meine Brüder gehen«, gestand er hölzern. »Ich muß hierbleiben und meiner Mutter helfen, sich um den Bu zu kümmern.«
Er glaubte, Ragna würde sich nun, da die schreckliche Wahrheit offenbar geworden war, von ihm abwenden, doch statt dessen geschah etwas ganz Unerwartetes und Wunderbares. Die junge Frau zögerte einen Augenblick lang, blickte rasch nach rechts und links, beugte sich vor und legte ihm kühn eine langgliedrige Hand auf den Ärmel. Die Haut auf Murdos Arm brannte unter ihrer Berührung. »Gut! Das freut mich«, flüsterte sie und unterstrich ihre Worte mit einem knappen Nicken.
Murdo wußte nicht, was ihn mehr erstaunte: Ragnas Hand auf seinem Arm oder die verschwörerische Freude, mit der sie ihre außergewöhnliche Erklärung abgegeben hatte.
»Gut?« fragte Murdo. In seinem Kopf drehte sich alles.
Ragna blickte ihn mit ihren klaren, festen Augen an. »Das ist keine Pilgerfahrt, sondern ein Krieg.« Sie sprach das Wort aus, als wäre es das schlimmste auf der Welt. »Das sagt zumindest meine Mutter, und das ist die Wahrheit.«
Murdo starrte sie verblüfft an. Er wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Natürlich ist die Pilgerfahrt ein Krieg, dachte er. Zu versuchen, die Aufgabe anders zu bewältigen, wäre auch vollkommen sinnlos gewesen. Aber diesen Gedanken laut auszusprechen hätte ihn augenblicklich das angenehme Gefühl von Ragnas Vertrauen gekostet, und da er dieses Vertrauen gerade erst erworben hatte, wollte er es auf keinen Fall so rasch wieder verlieren.
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